2018 Reto Knutti

Geboren am 7. Mai 1973 in Saanen, studierte Physik und promovierte bei Thomas Stocker im physikalischen Institut der Universität Bern. Seit 2012 ist er ausserordentlicher, seit 2016 ordentlicher Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich.
Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Veränderungen im Klimasystem durch Treibhausgase sowie die Weiterentwicklung, Bewertung und Anwendung von Klimamodellen. Knutti ist ein bedeutendes Mitglied des IPCC. 2001 wirkte er als Autor an dem Kapitel über «Projektionen zukünftiger Klimaentwicklungen» im Dritten Sachstands-bericht des IPCC mit. Am 2007 erschienenen 4. Sachstandsbericht war er als Autor beteiligt und war Leitautor des Kapitels über «Globale Klimaprojektionen». Im 2013/14 erschienenen 5. Sachstandsbericht war er im Autorenkreis mehrerer Kapitel sowie koordinierender Leitautor des Kapitels über «Langzeit-Klimawandel» und einer der Leitautoren der technischen Zusammenfassung der Arbeitsgruppe «Physikalisch-Wissenschaftliche Grundlagen». Knutti vermittelt seine Erkenntnisse der Klimaforschung der breiten Öffentlichkeit.

In Würdigung seiner grossen Verdienste für die wissenschaftliche Erforschung des Klimawandels, die Vermittlung seiner Erkenntnisse an eine breite Öffentlichkeit sowie für sein grosses gesellschaftliches Engagement für die Erhaltung des Klimas.

Laudatio

Lino Guzzella

Es ist mir eine grosse Freude, heute den Preisträger des Brandenbergerpreises 2018 würdigen zu dürfen. Ich tue dies in den folgenden Minuten anhand der Leistungen in den drei Bereichen, für welche Reto Knutti nun ausgezeichnet wird, nämlich:

•    als Wissenschaftler und Klimaforscher
•    als Vermittler und Kommunikator und schliesslich
•    als engagierter Experte im Sinne eines Honest Broker, wobei letzter Begriff in der Folge noch zu erläutern sein wird.

Ich kenne Reto Knutti schon seit einigen Jahren, zuerst als junger Kollege, der 2007 als Assistenzprofessor an die ETH berufen wurde, und seit 2015 als mein Delegierter für Nachhaltigkeit an der ETH.
Um es gleich vorwegzunehmen: die Jury hat mit Reto Knutti eine vorzügliche Wahl getroffen.

Sie ehrt nicht nur einen herausragenden jungen Klimawissenschaftler für seine Beiträge in der Grundlagenforschung, sondern auch eine Persönlichkeit, welche die eigene Rolle als Wissenschaftler in der Gesellschaft reflektiert und unermüdlich für einen gesellschaftlichen Dialog eintritt. Einen Dialog notabene, den er nicht selektiv oder gar elitär führt, sondern der bei ihm alle Schichten der Bevölkerung einschliesst.

Wenden wir uns zuerst dem Forscher zu.

Reto Knutti hat an der Universität Bern Physik studiert und beim Doyen der Schweizer Klima-wissenschaft — Thomas Stocker — in Klima- und Umweltphysik promoviert. Nach einem Forschungsaufenthalt als Postdoktorand und Visiting Scientist am «National Center for Atmospheric Research» in Boulder, Colorado, folgte Reto Knutti 2007 einem Ruf als Assistenzprofessor an die ETH Zürich. Seit 2016 ist er Ordentlicher Professor für Klimaphysik am Institut für Atmosphäre und Klima im Departement Umweltsystemwissenschaften.

Mit mehr als 145 begutachteten Fachartikeln in renommierten Zeitschriften gehört er heute — mit 45 Jahren — bereits zu den prägenden Figuren der Klimawissenschaft; eine Feststellung, die auch durch die Tatsache untermauert wird, dass Reto Knutti zu dem einen Prozent der am meist zitierten Klimaforscher weltweit gehört.

In seiner Forschung befasst er sich mit den Ver-änderungen im globalen Klimasystem, die von anthropogenen Treibhausgasen wie etwa Kohlendioxid verursacht werden. Dabei verwendet er numerische Modelle unterschiedlicher Komplexität. Zu seinen einflussreichsten Beiträgen gehört die Quantifizierung von Rückkopplungen im Klimasystem und der Klimasensitivität. Letztere wird oft als die wichtigste Determinante des Klimawandels bezeichnet und bestimmt die langfristige Erwärmung als Folge des menschgemachten CO2-Ausstosses. Reto Knutti hat die Einschätzung dieser Thematik in zwei Berichten des UNO-Weltklimarats (IPCC) koordiniert und dazu die zwei umfassendsten, wissenschaftlichen Reviews geschrieben.
Er hat in seiner Forschung auch gezeigt, dass die Erwärmung durch CO2-Emissionen zu einem Grossteil unumkehrbar ist, auch wenn die Emissionen heute vollständig gestoppt werden könnten. Weiter hat Reto Knutti und sein Forschungskollege Markus Huber mit Methoden der Wahrscheinlichkeitsrechnung und mit Energiegleichgewichts-Modellen den Anteil verschiedener Treibhausgase errechnet, die der gemessenen Erwärmung zuzuschreiben sind.

Zusammen mit Erich Fischer konnte er in einer weltweit beachteten Studie zeigen, dass bereits heute rund 75 % der Hitzetage und ca. 18% der Starkniederschläge auf menschgemachte Klima-erwärmung zurückzuführen sind. Und dass sich diese Entwicklung nicht linear fortsetzen wird mit zunehmender Erwärmung. In Zusammenarbeit mit seinem ehemaligen Doktoranden Joeri Rogelj hat Reto Knutti das Konzept eines «CO2-Budgets» geprägt und in die politische-gesellschaftliche Diskussion eingebracht, um bildhaft zu vermitteln, dass die Erderwärmung gekoppelt ist an den Ausstoss einer maximalen Treibhaus-gasmenge, die quantifizierbar ist. Dieses Konzept ist auch in den 5. IPCC-Bericht und in die Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen eingeflossen.

Wenn man sich die wissenschaftliche Karriere des Preisträgers vergegenwärtigt, fällt einem die Breite seines Interessensfeldes auf. Reto Knutti ist nicht einer, der sich in sein Fachgebiet verbeisst, um sich dann im Elfenbeinturm wohlig einzurichten. Vielmehr sucht er die intellektuelle Auseinandersetzung und interdisziplinäre Befruchtung.

Zu erwähnen ist hier seine frühe Zusammenarbeit mit MeteoSchweiz mit dem Ziel, die Klima-wissenschaft mit den konkreten Herausforderungen der Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft zu verknüpfen. Zusammen mit Wissenschaftlern von Meteo-Schweiz hat er — gestützt auf globale Klimamodelle — Szenarien für die Schweiz entwickelt. Dann schloss er sich mit Ökonomen zusammen, um optimale Anpassungsstrategien, inklusive Geo-Engineering, an den Klimawandel zu entwickeln. Daraus entstanden dann die vor wenigen Tagen vorgestellten Klimaszenarien für die Schweiz. Dieses Gemeinschaftswerk von Bund und Hochschulen liefert wichtige Grundlagen für Entscheide von Behörden, Firmen und Privatpersonen.
Aber der Interessenshorizont von Reto Knutti ist damit noch nicht erreicht. Zusammen mit Wissenschaftsphilosophen untersucht er in einem Projekt, wo die Unterschiede im Erkenntniswert von prozessbasierten gegenüber statischen Mo-dellen liegen. In Zusammenarbeit mit Sozialwissenschaftlern und Psychologen hinterfragt er im Weiteren die unterschiedliche Wahrnehmung von Klimagrafiken aus den IPCC-Berichten durch Studierende, Medienschaffende und Politiker.

Die Ergebnisse des Projekts zeigen, dass der Art und Weise, wie Wissenschaft in visueller Form kommuniziert wird, bisher nur unzureichend Beachtung geschenkt wurde, und sie gibt wichtige Hinweise, wie dies in Zukunft verbessert werden kann. Man könnte hier noch weitere Beispiele anfügen, doch das bisher Gesagte zeigt bereits klar auf: Reto Knutti als Forscher zeichnet sich sowohl durch fachliche Tiefe aus wie auch durch die Breite seiner Interessen.

Lassen Sie mich nun auf seine Rolle als Kommunikator und Wissensvermittler zu sprechen kommen, was ja ein weiterer Grund ist für seine Ehrung heute ist. Es ist wohl nicht übertrieben, Reto Knutti als eine der profiliertesten Schweizer Stimmen zu bezeichnen, wenn es darum geht, Orientierungswissen zum Klimawandel und zu Aspekten der Nachhaltigkeit zu vermitteln.

Um den Preisträger indirekt zu zitieren: wissenschaftliche Erkenntnisse sind von begrenzter Wirkung, solange es der Wissenschaft nicht gelingt, die Bevölkerung von deren Relevanz zu überzeugen.
Er geht mit gutem Beispiel voran und erklärt unermüdlich in Vorträgen und gegenüber Medien die Fakten zum Klimawandel, ohne je missionarisch zu wirken, ohne dabei auszublenden, welche Annahmen den Modellen zugrunde liegen und wo noch Unsicherheiten in den wissenschaftlichen Aussagen bestehen. Reto Knutti hat keine Berührungsängste und steht dem Regionalblatt ebenso selbstverständlich Red und Antwort wie der New York Times; er diskutiert mit dem gleichen Interesse an der Sache in der Jugendsendung Zambo von SRF wie mit den Blick-Lesern im Live-Chat.

Dabei findet er die für das jeweilige Medium passende Sprache, um sich beim Publikum Gehör zu verschaffen; so scheute er sich auch nicht, für die Sendung «Einstein» des Schweizer Fernsehens eine Badewanne mit Wasser zu füllen, um das Konzept des limitierten CO2-Budget zu veranschaulichen.

So wie der Preisträger in seiner Forschung den Austausch mit anderen Disziplinen sucht, so experimentierfreudig agiert er auch in der Wissenschaftskommunikation. Früh schon versuchte er Themen des Klimawandels in einem Video-Formats zu vermitteln. Weiter ist er Mitinitiant des ETH-eigenen Wissenschaftsblogs und seit ein paar Monaten ist er auch auf den Sozialen Medien präsent mit einem eigenen Twitter-Konto.

Dass die digitale Medienrevolution nebst vielem Positiven auch ihre negativen Auswirkungen hat, wissen wir alle zur Genüge. In einem kürzlich veröffentlichten Blog-Beitrag mit dem Titel «Forschen in Zeiten von Fake News» schreibt er denn auch, ich zitiere: «Kommunikation zum Klimawandel ist nichts für zartbesaitete Seelen». Er lässt sich — zum Glück — durch diese Störmanöver nicht davon abbringen, über relevante Fragen öffentlich nachzudenken und zu diskutieren.
Auch in der Kommunikation mit der Politik und der internationalen Diplomatie hat Reto Knutti einen Leistungsausweis vorzuweisen. So präsentierte er 2013 die Resultate des IPCC-Berichts den Verhandlungsdelegationen der Vereinten Nationen. Als führender Autor des 5. IPCC-Berichts erlebte Reto Knutti 2013 hautnah, wie der Konsens der Wissenschafts-Community am Schluss in die Mühlen der Politik geriet und die Länderdelegationen um einen gemeinsamen Text zuhanden der Regierungen rangen.

Ein zweites Zwischenfazit lässt sich an dieser Stelle ziehen: Offenheit und ein Talent, komplexe Sachverhalte klar darzustellen, sind Qualitäten, die Reto Knutti als Kommunikator und Wissensvermittler immer wieder zeigt. Er ist dadurch zu einer wichtigen Stimme der Wissenschaft geworden, die in der Öffentlichkeit hohes Ansehen und Glaubwürdigkeit geniesst.

Untrennbar mit den beiden vorgängig besprochenen Rollen des Forschers und des Kommunikators stellt sich die Frage der gesellschaftlichen Verortung. Wie definiert er sich als Wissenschaftler und Staatsbürger? Wo zieht er die Grenze zwischen der Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs und einseitiger Parteinahme? Wie löst er für sich persönlich das Dilemma, sich als Experte einzumischen, ohne von ideologischen oder parteipolitischen Interessen vereinnahmt zu werden?

Es sind dies alte Fragen — denken Sie an Max Webers «Wissenschaft als Beruf» — denen sich der Preisträger aber immer wieder stellt. Er ist sich der Fallstricke durchaus bewusst, die ein gesellschaftliches Engagement in einem politisch und emotional aufgeladenen Thema mit sich bringt. Eindeutige Antworten und Rezepte gibt es nicht.
 
Und oft trennt nur eine dünne Line den aktiven Wissensvermittler vom aktivistischen Warner.
Gewiss, es wäre viel einfacher und bequemer, sich aus der Diskussion rauszuhalten. Das ist jedoch Reto Knuttis Sache nicht. Aus zwei Grün-den: Zum einen sieht er eine öffentlich finanzierte Hochschule wie die ETH in der Pflicht, ihr Wissen der Gesellschaft verfügbar zu machen. Und verfügbar wird das Wissen nur, wenn der Wissenschaftler sich auch der öffentlichen Diskussion stellt. Zum andern droht einer Wissenschaft, die zu den wichtigsten Zeitfragen schweigt, die Bedeutungslosigkeit.

Es ist an der Zeit, auf den eingangs erwähnten Begriff des Honest Brokers kurz einzugehen, den der US-amerikanische Umweltwissenschaftler Roger Pielke in seinem Buch «The Honest Broker: Making Sense of Science in Policy and Politics» beschreibt. Quasi das Alleinstellungsmerkmal des Honest Broker, so Pielke, «is the commitment to clarify the scope of possible action so as to empower the decision maker».

Der Honest Broker weitet somit den Sichtbereich der Möglichkeiten für politische Entscheidungsträger, in dem er in Szenarien denkt und nach bestem Wissen und Gewissen Chancen und Risiken aufzeigt. Er hält sich hingegen zurück, Stellung zu beziehen zu konkreten politischen Massnahmen. Ebenso ist er sich der Grenzen der eigenen Expertise bewusst.

Ich denke, dies beschreibt Reto Knuttis Rollen-verständnis ziemlich gut. Er geht offen auf Me-dien, Behörden und die Politik zu, zieht aber dort eine Grenze, wo die Gefahr der Instrumentalisierung droht. Getreu der Maxime, möglichst mit allen Anspruchsgruppen das Gespräch zu suchen, interessiert ihn die Diskussion quer durch das ganze Parteienspektrum. Die Wahlkampagne eines einzelnen Politikers zu unter-stützen, wäre hingegen eine Grenzüberschreitung.
Das führt mich zum dritten und letzten Zwischenfazit: Reto Knutti als Honest Broker zeigt uns den Weg, wie man sich als Wissenschaftler engagieren und dabei unabhängig und glaub-würdig bleiben kann. Er lebt Intellektualität, Engagement und Pragmatismus zugleich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lieber Reto. Ich komme zum Schluss meiner Ausführungen. Wir feiern heute die Preisübergabe an eine Persönlichkeit, die sich mit Verve für ein besseres Verständnis der Komplexität des welt-weiten Klimasystems und für einen verantwortungsvollen Umgang jedes einzelnen mit unserer Umwelt einsetzt.

Eine Persönlichkeit, die nicht nur in den einzelnen Rollen des Wissenschaftlers, Kommunikators und Honest Broker zu überzeugen vermag, sondern dem es auch gelingt, diese zu einem glaubwürdigen Ganzen zu vereinen.

Ich wünsche dem Preisträger, dass ihm dieser Balanceakt auch in Zukunft gelingen möge und freue mich nun mit Ihnen auf seinen Vortrag.


Klimaforschung und Dialog mit der Öffentlichkeit

Reto Knutti

Ich bin tief berührt und ich möchte der Stiftung Brandenberger ganz herzlich danken.

Es gibt viele Wissenschaftspreise, aber diese Auszeichnung ist speziell, weil sie in meinem Fall die Leistungen in der Wissenschaft in einen grösseren gesellschaftlichen Kontext stellt — in den Dienst der Gesellschaft. Und ich möchte Ihnen meine Sicht darauf im Folgenden kurz zeigen.

Bevor wir anfangen, möchte ich klarstellen: So etwas kann man nie alleine leisten. Erfolg basiert fast immer auf einer Leistung des Teams. Ich danke der ETH Zürich und speziell Lino Guzzella als ihrem Vertreter für die Infrastruktur und für das Vertrauen, dass wir das machen können, was wir für wichtig empfinden. Ich danke meiner Gruppe, von der viele hier sind, für ihre Beiträge in der Forschung, in der technischen Hilfe, im Sekretariat, für ihre Beiträge in der Lehre, in der Visualisierung, in der Kommunikation. Es sind ganz viele Elemente, die hier wichtig sind.

Ich habe profitiert von einem nationalen und internationalen Netzwerk, von der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus der Ökonomie, aus der Statistik, aus der Philosophie, von Projekten mit «ETH Sustainability», der Nachhaltigkeit, der Mobilitätsplattform, den Informatikdiensten, der Hochschulkommunikation. Ohne sie wäre das nicht möglich. Und es gibt ganz viele Menschen, die mich inspiriert und unterstützt haben. Und viele davon sind hier. Vielen Dank!

Ich möchte ganz wenige mit Namen hervorheben. Es ist einerseits mein Doktorvater und Mentor Thomas Stocker. Thomas hat meine wissenschaftliche Denkweise geprägt, aber er war mir auch ein Vorbild für ein viel breiteres Engagement in der Gesellschaft.

Und ich möchte danken meiner Familie, insbesondere den Eltern, und meiner Frau Jacqueline. Wir teilen nicht nur seit über zwanzig Jahren das Leben, sie hat auch mit ihrer Fähigkeit, wissenschaftliche, gesellschaftliche und kommunikative Fragen zu verstehen, zu vernetzen, manchmal auch zu kritisieren, enorm viel zu vielen Projekten beigetragen.

Grosse Leistungen erfordern oft einen langen Atem. Und es gibt ein paar Faktoren, die neben fantastischen Menschen wichtig sind. Es sind Autonomie, Vertrauen, langfristige Finanzierung, trotz Erbsenzählen die Freiheit zu haben, das zu tun, was man als relevant empfindet. Eine wichtige Rolle in der Gesellschaft kann man nicht beim Schweizerischen Nationalfonds mit einem Projekt beantragen. Dafür braucht es mehr. Und es ist wichtig — einige Leute sind hier, die wissen, wovon ich spreche —, dass das auch in Zukunft noch möglich ist.

Vor zehn Tagen haben wir in der Öffentlichkeit die Klimaszenarien für die Schweiz vorgestellt. Ich hatte die Ehre, am Abend in SRF «10vor10» mit Susanne Wille zu diskutieren, ganz kurz zu diskutieren. Man hat manchmal nicht mehr als ein paar Sekunden. Sie hat mich gefragt: «Klimamodelle basieren auf Annahmen. Warum soll ich Ihnen glauben, dass Sie Recht haben?» Ich betone das Wort «glauben». Ich habe dann relativ spontan das Glas genommen und gesagt: «Schauen Sie, das Glas fällt nach unten und nicht nach oben.» Methoden der Wissenschaft, Daten, Hypothesen prüfen und so weiter, Wissenschaftstheorie in fünfzehn Sekunden. Aber man fragt sich dann schon einmal mehr nach so vielen wissenschaftlichen Resultaten, so vielen Berichten: Warum sind wir eigentlich hier und nicht weiter? Was wissen wir, was wissen wir nicht? Ist das Thema zu komplex? Ist das Konzept eines Modells unklar? Ist es nicht relevant für die Menschen? Ist es schlecht kommuniziert? Oder wird es einfach als links-grünes Ökogeschwafel abgetan, das dem eigenen Weltbild widerspricht?»

Warum kommen wir vielleicht in dieser Diskussion, — das Klima steht hier stellvertretend für viele andere Fragen — warum kommen wir nicht so schnell weiter, wie wir das Gefühl haben, wir sollten?

Und ich möchte das diskutieren anhand von vier Elementen und jeweils aufzeigen, was ich denke, was die Rolle der Wissenschaft dort ist, was sie kann, und auch, was sie nicht kann. Und ein paar persönliche Anekdoten erzählen, die vielleicht etwas unerwartet, etwas farbiger als normal bei einer Dankesrede und nicht immer ganz akademisch sind.

Fakten

Das erste sind die Fakten. Was weiss man über das Klimasystem und die Veränderungen, die der Mensch verursacht? Früher hätte man oft hier gestoppt. Ich bin der Meinung, es braucht mehr. Man muss sich fragen: Sind diese Fakten denn relevant für die Menschen? Der Bauer auf dem Bild, der seine Karotten aus dem Boden zieht und sagt: «Schauen Sie, die sind dünn wie Streichhölzer. Das wächst nicht. Es ist zu trocken.» Wie schaffen wir es, das relevant zu machen? Wie kommuniziert man es? Und letztlich das Handeln: Warum ist das Handeln nicht eine unmittelbare Konsequenz des Wissens? Und wenn Sie den Eindruck haben, das seien vielleicht mehr Fragen als Antworten, dann hat das ein Element.

Wir haben vieles erreicht und wir wissen viel, aber die Herausforderungen bleiben immer noch gross. Und ich lade Sie ein, darüber nachzudenken.

Es haben mir übrigens sehr prominente Menschen an dieser ETH auch einmal gesagt, man hätte bei den Fakten stoppen müssen. Zitat: «Sie hätten besser ein Paper mehr geschrieben.» Ich habe mich darüber hinweggesetzt und trotzdem das gemacht, was ich als richtig empfand.

Der Klimawandel wird manchmal als eine neue grüne Religion von Weltverbesserern abgetan, Wissenschaftler, die sich bereichern wollen oder staatliche Kontrollen wollen. Aber wie so oft ist die Geschichte eigentlich relativ alt. Und wie so oft beginnt sie als Geschichte der Methoden der Naturwissenschaft, die viel später erst gesellschaftsrelevant wurden.

Es sind Herren wie Fourier, die sehr früh die Physik verstanden haben. Svante Arrhenius, auf dem Bild links, der 1896 gesagt hat, mit mehr CO2 in der Luft müsse es wärmer werden. Das ist mehr als hundert Jahre her. Guy Stewart Callendar, Bildmitte, der 1938 gesagt hat: «Ich sehe den menschgemachten Klimawandel in den Beobachtungsdaten.» Man kann sich streiten, ob die Beobachtungsdaten 1938 wirklich gut genug waren. Das US Science Advisory Commitee hat 1965 geschrieben, ein bisschen versteckt in einem Appendix, aber es ist dort: «By the year 2000 the increase in atmospheric CO2 will be close to 25 percent. This may be sufficient to produce measurable and perhaps marked changes in climate, and will almost certainly cause significant changes in the temperature and other properties of the stratosphere.» 1965! Dann der Klimaökonom und jetzige Nobelpreisträger Bill Nordhaus, der 1977 das 2 °C-Ziel zum ersten Mal diskutiert. Jule Charney, rechts auf dem Bild, in einem Bericht der US National Academy of Science.

Sie sehen, die Geschichte ist alt. Und alles zu einer Zeit, als die breite Öffentlichkeit das Thema wenig wahrgenommen hat und es insbesondere nicht eine so klare Frage von politisch rechts und links war. Als Reaktion darauf dann die Gründung der UNO-Rahmenkonvention «UNFCCC (United Nations Framework Convention an Climate Change)» mit dem Ziel — Zitat: «To prevent dangerous anthropogenic interference with the climate system.» und des Welt-Klimarates «IPCC (Intergovernmental Panel an Climate Change)», der die wissenschaftlichen Fakten zuhanden der politischen Diskussion zusammenstellt. Auch im gleichen Jahr, 1988, hat der US-Wissenschaftler Jim Hanson von der NASA beim US-Senat ausgesagt: «Der Klimawandel ist real.» Am Tag darauf publizierte die New York Times, wie Sie sehen, die steigende Kurve auf der Frontseite. Jetzt, 30 Jahre später, immer noch auf der Frontseite der New York Times, sehen Sie die steigende Kurve einfach mit mehr Daten, die im Wesentlichen das bestätigt haben, was man vorausgesagt hat.

Wir haben auch ein paar Sachen beigetragen. Ich will nicht ins Detail gehen. Zwei, drei kurze Beispiele. Hier auf dem Bild ein Beispiel der Quantifizierung des menschgemachten Anteils am Klimawandel. Wir haben gefragt, was passieren würde, wenn man nur die Faktoren nimmt, die nichts mit dem Menschen zu tun haben, solare Einflüsse und Vulkane? Sie sehen die berechnete Entwicklung in einem Modell (blaue Kurve). Dies kann die beobachtete Erwärmung nicht erklären. Man kann alternativ die Hypothese formulieren: Was, wenn man nur den Menschen nimmt? Treibhausgase und Aerosole (rote Kurve). Dann sieht man, dass das schon ein bisschen besser aussieht. Aber zusammen gibt es ein konsistentes Bild (schwarze Kurve). Und dieses Bild zeigt uns, dass aufgrund der Energiebilanz des Systems die Schlussfolgerung berechtigt ist, dass der grösste Teil, der dominante Teil der letzten fünfzig Jahre der Erwärmung menschgemacht ist.

Sie sehen auf dem Bild kleine Variationen (graue Kurve). Diese kann man allerdings noch nicht erklären. Das ist im Wesentlichen das Wetter. Und dann fragt man sich: Ja, könnte dann dieses Wetter, dieser Zufall, auch etwas produzieren, das so aussieht wie das, was wir beobachtet haben? Was wäre die Zufallsverteilung von Trends über sechzig Jahre, die man erwarten würde, basierend auf zehntausenden Jahren von Modellsimulationen? Sie sehen auf der Folie, dass zwischen 0,1 °C und 0,2 °C globale Erwärmung zufällig entstehen könnte. Was wir beobachten ist 0,9°C oder so. Jetzt kann man statistische Hypothesen testen. Wenn man eine Normalverteilung annimmt hier, dann wären das acht Standardabweichungen. Die Wahrscheinlichkeit für acht Standardabweichungen ist ziemlich klein. Bei sechs Standardabweichungen ist es eins zu einer Milliarde oder so. Bei acht hört Wikipedia auf, das aufzuschreiben. Es macht wahrscheinlich keinen Sinn mehr in diesem Zusammenhang. Und es ist vielleicht keine Normalverteilung und die Modelle sind vielleicht nicht perfekt, aber man müsste ein Vielfaches des Alters des Universums warten, damit so etwas zufällig entstehen könnte. Und selbst wenn man annimmt, dass gewisse Sachen noch nicht ganz verstanden sind, es ist extrem unwahrscheinlich, dass so etwas Zufall ist.
 
Wir haben mit Erich Fischer zusammen — ich sollte sagen, er hat mit mir zusammen — den Einfluss des Menschen auf die extremen Wetterereignisse angeschaut. Sie sehen auf dem Bild, dass schon heute die Häufigkeit der Hitzeextreme grösser ist, als es früher war. Oben links ist ein Bild heute und rechts das Bild bei 3 °C. In einer drei Grad wärmeren Zukunft haben wir zehn, zwanzig, fünfzig Mal mehr Hitzeextreme, als wir das heute haben. Überall wo es rot ist, hat der menschliche Einfluss das verstärkt. Ebenso die starken Niederschläge auf dem Bild unten. Überall wo es blau ist, und das ist überall auf dem Land, hat der Mensch heute schon einen Einfluss auf die starken Niederschläge gehabt.

Und das letzte Beispiel, zusammen mit einem früheren Doktoranden, Joeri Rogelj, bestimmt, was denn geschehen müsste, um das 2 °C-Ziel zu erreichen. Wenn man nichts tut, dann steigen die Emissionen weiter an. Sie sehen auf dem Bild die rote Linie. Und wenn man optimal vorausschauend handelt, müsste es gegen Ende des Jahrhunderts etwa null sein. Das ist die blaue Linie. Und wenn man nicht so optimal handelt, dann ist es die gelbe Linie. Sie sehen, die Menge CO2, die man ausstossen kann, ist immer etwa die gleiche. Das ist die Summe unter der Kurve. Je länger man wartet, desto steiler muss man dann hinunter und desto teurer wird es. Also die Welt macht zu wenig, um ihre Klimaziele zu erreichen.

Das ist ein Beispiel, das direkt politikrelevant ist, ohne die Politik vorzuschreiben. Und das übrigens auch transparent die Unsicherheiten wiedergibt. Sie sehen, es hat häufig so Schattierungen bei allen drei Linien. Man weiss nicht alles. Man muss auch nicht alles wissen. Man entscheidet täglich über Sachen, die man nicht perfekt versteht. Aber man weiss genügend, damit man etwas entscheiden kann.
 
Es bleibt aber auch ab und zu abstrakt. Wir lernen nicht unbedingt analytisch. Modelle sind schwierig zu erklären. Sie sehen hier eine Visualisierung der Erde, auch aus meiner Gruppe. Links ist ein Klimamodell in einer groben Auflösung. Und rechts ist das gleiche Klimamodell mit höherer Auflösung. Das braucht einen grösseren Computer. Diese Bilder helfen vielleicht zu verstehen, was ein Modell ist, aber es bleibt manchmal trotzdem schwer fassbar. Es bleibt abstrakt. Und der Mensch lernt nicht unbedingt aus analytischem Verständnis, sondern er lernt oft aus Erfahrung.

Relevanz

Und das bringt mich zum zweiten Teil. Wie kann ich die Resultate relevant machen? Wenn wir auf die Schweiz blicken, Sie sehen hier eine Grafik von Meteo Schweiz, sehen Sie die Schweiz von 1864, links, bis heute, 2018, rechts. Sie sehen, auch die Schweiz hat sich massiv erwärmt. 2 °C. Alle Jahre etwa der letzten zwanzig Jahre waren überdurchschnittlich warm. Und 2018 wird ein-mal mehr als heissestes Jahr der Schweiz in die Geschichte eingehen. Die Auswirkungen von diesem Sommer muss ich Ihnen nicht gross er-klären. Heisse Tage, trockene Situationen — wie 2003, 2015, 2018. Es ist kein Einzelfall. Das Bild ist von 2015. Der Biobauer Stefan Müller in Steinmaur hat gesagt: «Schau, meine ganzen Hektaren Karotten hier muss ich unterpflügen. Neu anfangen. Das wächst dieses Jahr nicht.»

Wir haben vor zehn Tagen diese Klimaszenarien für die Schweiz vorgestellt. Und das ist ein Beispiel dafür, was es braucht, um aus der Theorie in die Praxis zu kommen. Es braucht Partner in diesem Fall. Es war eine ausgezeichnete Zusammenarbeit mit MeteoSchweiz, der Universität Bern, ProClim der Akademien der Wissenschaft und vielen anderen. Wir haben auch versucht, das zu kommunizieren anhand von Geschichten. Sie sehen hier auf dem Titelblatt die Frau, die ihre Gurken bewässert, die Nonna, die nicht schlafen kann, weil es zu heiss ist, der Knabe aus dem Bündnerland, der mit dem Schlitten im Gras steckenbleibt, und der Hausbesitzer, der seinen Keller ausräumt, weil es zu viel regnet. Das hat gut funktioniert. Diese Geschichten sind einfacher fassbar. Ich kann sagen, dass die Medienarbeit noch nie so einfach war. Die Leute verstehen das besser.

Ich war dann trotzdem ein bisschen amüsiert über die Berichterstattung des «Tages Anzeiger». Sie sehen hier den Titel auf der Frontseite: «2060 fällt auf dem Uetliberg nur noch halb so viel Schnee.» Und ich habe mich gefragt, ob die Auswirkungen beim Schnee wirklich auf dem Uetliberg so dramatisch oder wichtig sind. Der Bericht war übrigens ausgezeichnet geschrieben, aber der Journalist hat mir gesagt, der Blattmacher habe insistiert, wenn es auf die Frontseite komme, dann müsse es einen Zürich-Bezug haben.

Kommunikation

Und damit sind wir beim dritten Thema. Nämlich der Frage: Wie kommuniziert man das Ganze? Damit wird es noch ein bisschen amüsanter. Die ersten Erfahrungen waren 2002 in einer Arbeit als Teil meiner Doktorarbeit. Das war irgendwann auf der Frontseite des «Blick». Sie sehen die Schlagzeile: «Die Schweiz kommt ins Schwitzen», und «Die fatalen Folgen.» Auf Seite 3 ein ausgetrockneter Fisch in einem See, oder dort, wo früher ein See war. Und am An-fang war mir das ein bisschen unwohl, weil man die Kontrolle verliert. Man kann nicht mehr vollständig und exakt sein. Die Medien wollen Schlagzeilen. Sie wollen Zeitungen verkaufen und das Konzept von Fakten wird, sagen wir einmal, aufgeweicht. Zitierungen werden zu Ansichtssachen. Hier ein Auszug aus einem «Blick»-Chat. Sie haben zusammengefasst: «Clevere Manager investieren in Öko-Erfindung.» Das hatte ich nicht gesagt. Aber es kommt so. Achten Sie ganz oben links: «Klima-Guru Reto Knutti.» Es trifft einen schon ein bisschen, wenn man als «Guru» bezeichnet wird. Die Unterscheidung von Privatperson, Wissenschaftler und der ETH als Institution wird verschwommen wahrgenommen. Hier eine weitere Schlagzeile aus dem «Blick»: «ETH-Professor fordert Ersatz von Kohle und Öl.» Die eine Frage ist, ob ich das gesagt habe, die andere Frage ist, ob ich das als ETH gesagt oder als Wissenschaftler oder als Vater von zwei kleinen Kindern.

Die Medien wollen Emotionen! Sie wollen Widersprüche! Der «Sonntagsblick» titelte Mitte Mai 2013: «Warum ist es so saukalt, Herr Professor?» Und als Teil der Oberzeile: «ETH-Klimaforscher... über die rosige Zukunft der Bierbrauer.» Sie wollen Bilder! Man kontrolliert zwar den Text, den kann man gegenlesen. Die Titel sieht man nicht. Die Bilder sieht man auch nicht. Hier habe ich zu erklären versucht, dass man mit Kosten-Nutzen-Rechnungen nicht alles erfassen kann, und dass vielleicht der Wert einer aussterbenden Tierart in Franken schwierig zu quantifizieren ist. Dass das vielleicht nicht einen Preis, aber einen Wert hat. Und dann kommt eben der Eisbär, wie Sie sehen, auf die Titelseite vom «Tagblatt». Hier ist ein weiteres Beispiel aus der «Sonntagszeitung»: Ein Foto von mir mit rotem Regenschirm auf dem Dach unseres Instituts. Ich weiss nicht mehr, wie viele Leute hier, in einer technischen Hochschule, mich angesprochen und gesagt haben: «Ich habe dein Bild gesehen mit dem roten Regenschirm.» Niemand hat Stellung genommen zu dem, was ich gesagt habe. Und die Anekdote hinter dem Bild: Der Fotograf hat gesagt, am liebsten wäre es ihm, wenn ich alles ausziehe bis aufs Hemd. Es hat strömend geregnet damals. Er möchte warten, bis das Hemd so richtig klebt. Da habe ich gesagt: «Dankeschön.»

Also Fakt ist heute, jetzt sind wir wieder bei den Realitäten, die Medien bauen ab. Insbesondere beim Wissenschaftsjournalismus. Der Zeitdruck steigt. Das Fachwissen nimmt ab. Und damit haben wir eine grössere, stärkere Rolle zu übernehmen. Und der Erfolgsfaktor in diesem Fall ist, dass man viel Zeit investiert. Man muss schnell und kompetent viel Material liefern, das sie möglichst pfannenfertig übernehmen können. In vielen Fällen geht das heute so, dass sie in der E-Mail fünf Fragen stellen, man schreibt eine Stunde oder zwei, sie machen copy-paste und dann ist der Artikel publiziert — inklusive Kommafehler. Das ist Realität. Es ist wichtig, dass man ein Vertrauen aufbauen kann mit den Journalisten, denen man traut und die einem trauen. Sie haben nicht mehr die Zeit und die Möglichkeit, zu kontrollieren, was man sagt. Immerhin gibt es noch Qualitätskontrollen. Die Medienlandschaft in der Schweiz ist noch relativ gut. Aber dann gibt es diese andere Sache. Twitter ist ein Beispiel. Heute kann jeder einen Beitrag leisten zur Diskussion, aber nicht jeder Beitrag ist gleich hilfreich.

Hier sehen Sie ein Beispiel von meinem Twitter Feed vor ein paar Tagen. Oben der amerikanische Journalist Andrew Revkin, eine Koryphäe im Bereich Umwelt. Ihm würde ich trauen. Dann kommen Leute, die ich nicht kenne, die auch etwas zu sagen haben. Ich weiss nicht, wie ich das einschätzen muss. Gleich darunter kommt der amerikanische Physiker Richard Feynman. Er ist 1988 gestorben. Also offensichtlich ist es nicht mehr der Richard Feynman. Man weiss heute nicht mehr, wer was sagt, und ob man dem trauen kann. Das macht es schwierig. Das macht es selbst für uns manchmal schwierig.
 
Fake News ist in aller Munde. Ein bekanntes Beispiel sehen Sie hier vom US-Präsidenten, der gesagt hat: «Das Konzept des Klimawandels wurde von den Chinesen erfunden ...» Lügen gab es früher auch schon — in der Kirche, in der Politik, aber sie haben heute eine andere Dynamik entwickelt. Jeder kann Einfluss nehmen. Jeder kann manipulieren. Und diese Fake News verbreiten sich schneller und weiter als die Fakten. Das hat man wissenschaftlich nachgewiesen. Zudem ist das Lügen irgendwie salonfähig geworden, und das hat mich besonders in diesem Jahr in den USA erschüttert. Es schadet heute nicht einmal mehr, wenn man lügt. Man lügt einfach fröhlich weiter, und wenn man lange genug das Gleiche wiederholt, glauben es die Leute oder zumindest bleibt irgendetwas davon hängen. Man konstruiert sich seine eigene Realität so, wie man die Welt gerade haben will: «Alternative Facts» ist das Zitat auch aus der US-Politik. Und es hat zumindest in Teilen der Bevölkerung zu einer allgemein skeptischen Haltung gegen-über Experten und Wissenschaft geführt.

Hier zeige ich Ihnen ein weiteres Twitter-Beispiel: Wissenschaftler haben vor ein paar Tagen gesagt, an Thanksgiving (am 22.11.2018) werde es kalt im Nordosten der USA, man sollte nicht in Versuchung geraten, aus kurzfristigem lokalem Wetter auf langfristige Veränderungen zu schliessen. Drei Tage später schreibt der US-Präsident auf Twitter: «Brutal and extended cold blast could shatter all records — Whatever happened to Global Warming?» Das ist die Realität. Der Tweet der Wissenschaftler hat etwa 800 Likes, derjenige des US-Präsidenten etwa 100’000.

Es geht weiter. Nicht immer ganz lustig. Fake News heisst nicht nur selektive Interpretation und Auswahl von Fakten. Es heisst auch, dass «Interviews», die von A—Z erfunden sind, jedes Wort, auf russischen Websites für immer archiviert sind. In Sprachen, die man nicht versteht. Sie verteilen sich sehr schnell. Man kann nichts dagegen tun. «Die Welt hat nur noch drei ruhige Jahre bis zum Ende», titelt hier eine Website nach einem scheinbaren «Interview» mit mir. Oder hier ein anderes Beispiel einer Website: Die Pilze würden die Klimakatastrophe verursachen und die Stürme. Durch ihre Sporen entstünden die Wirbelstürme. Das tönt lustig, aber für einen Experten ist es nicht ganz einfach. Wenn man uns irgendetwas vorwerfen kann, das uns trifft, dann ist es, wenn wir nicht die Wahrheit sagen. Und wenn das so als Zitat dort steht, spielt es keine Rolle, ob man es gesagt hat oder nicht, es wird wahrgenommen, als ob man es gesagt hätte.

Hier geht es vor allem um Klicks, aber die Ge-schichte geht natürlich weiter. Gezielte Desinformation von der Wirtschaft. 1965 hat das «Ameri-an Petroleum Institute» in einem Bericht geschrieben: «Carbon dioxide is being added to the Earth's atmosphere by the burning of coal, oil and natural gas at such a rate that by the year 2000 the heat balance will be so modified as possibly to cause marked changes in climate...» 1965, also vor 50 Jahren, hat die fossile Industrie das gewusst! «Shell», hier im Bild ein vertraulicher Bericht (The Greenhouse Effect) aus 1988, wusste es auch. Alle anderen wussten es auch. Aber sie haben über Jahrzehnte Millionen bezahlt, um Zweifel zu säen, Thinktanks zu bezahlen, Hoch-glanzberichte zu schreiben und die Fakten abzustreiten. Das waren zum Teil die gleichen Personen, die gleichen Köpfe, die auch für die Tabakindustrie gekämpft haben — mit ähnlichem Ziel.

Handeln

Wie entsteht aus dem Wissen das Handeln, der letzte Schritt? Vor zwei, drei Jahren war ich einmal beim Radio in einer Diskussionsrunde. Da war ein Tourismusverantwortlicher aus dem Bündnerland und hat bezüglich Klimawandel und Schneesicherheit gesagt: «Schauen Sie, wir leben davon. Wir waren immer ein Winterspor-tort. Und der Kunde will das, der Kunde will Skifahren.» Ich habe dann versucht zu erklären, dass der Schnee schmilzt, wenn es über 0 °C ist. Und dass es egal ist, ob man das will oder nicht. Er schmilzt einfach. Ob man etwas ändern will oder nicht oder ob man etwas wahrhaben will oder nicht, ist stark abhängig von unserer Weltanschauung und unseren Werten. Sie sind entscheidend für die Interpretation der Fakten.

Das sogenannte Framing, also die Perspektive, die man auf einen Sachverhalt hat, ist unglaublich wichtig. Man kann das Klimaproblem als ein Gerechtigkeitsproblem sehen, ein Lastenverteilungsproblem, oder man kann es als ökonomisches Optimierungsproblem oder als ein Problem von politischen Rahmenbedingungen sehen. Und unterschiedliche Framings sprechen unterschiedliche Menschen und ihre Weltanschauungen an. Es ist vielleicht am besten illustriert durch dieses Diagramm, wo man Menschen in den USA gefragt hatte, ob sie glauben, dass die Effekte der Klimaerwärmung schon begonnen haben. Es geht also nicht um den menschlichen Einfluss, es geht nur um die Frage, ob es schon da ist oder nicht. Sind die Gletscher am Schmelzen oder nicht? Und Sie sehen: Am Anfang, 1990, waren sich Republikaner und Demokraten ungefähr einig. Die Hälfte hat Ja gesagt, die andere Hälfte Nein. Und dann ist diese Schere aufgegangen über die Zeit, über zwanzig Jahre. 2010 glaubten 70 Prozent der Demokraten, dass die Effekte der Klimaerwärmung bereits begonnen haben, bei den Republikanern waren es 40 Prozent. Sag mir in welcher Partei du bist und ich sage dir, was du über den Klimawandel denkst.
 
Sind die Leute zu dumm? Nein, sie sind nicht zu dumm. Im Gegenteil. Es ist nicht so, dass die Leute, die mehr wissen, besorgter sind. Die Leute, die mehr wissen, sind polarisierter. Aber die Leute sind mehr beeinflusst von den Meinungen anderer Personen, die ihnen nahestehen, als beeinflusst von den Fakten. Wir bestätigen unsere vorgefasste Meinung mit dem, was ins Bild passt, und wir ignorieren den Rest. Meine Familie sagt mir das, also glaube ich das. Meine politische Partei sagt mir das, also glaube ich das. Klimawandel steht für viele in Konflikt mit ihren Werten —freier Markt, minimaler Staat, Neoliberalismus — und sie sperren sich gegen diese Diskussion, nicht, weil sie den Klimawandel nicht glauben, die Fakten nicht glauben, obschon sie dies behaupten würden, sondern weil die vorgeschlagenen Massnahmen mit ihren eigenen Ideologien und Weltbildern im Widerspruch stehen. Das Diagramm ist aus den USA. Ich will nicht weiter auf die Schweizer Politik eingehen, aber es ist in der Schweiz auch ein bisschen so.

Ich habe immer gedacht, ja, das ist nur, weil die Leute unterschiedliche Fakten hören. Aber es geht wirklich noch weiter. Das hat mich damals ein bisschen erschüttert. Diese zwei Bilder hier kennen Sie wahrscheinlich, die Amtseinführung von Trump und Obama. Die «Washington Post» hat eine Umfrage gemacht bei republikanischen Wählern und hat sie gefragt: «Schauen Sie, da sind zwei Bilder. Auf welchem Bild hat es mehr Menschen?» 15 Prozent der republikanischen Wähler haben gesagt, auf dem Bild von der Einführung Trumps habe es mehr Menschen. Jedes dreijährige Kind würde Ihnen diese Frage richtig beantworten. Die Menschen sind bereit, Fakten zu verneinen, offensichtliche Fakten, wenn sie einen ideologischen Grund dafür haben. Und wenn das so ist, kann man sie nicht mit mehr Fakten überzeugen. Man muss sich also nicht nur auf die Fakten einigen, sondern man muss auch versuchen gemeinsame Werte zu finden.
 
Die Rolle der Wissenschaft

Was ist die Rolle der Wissenschaft? Der UNO-Klimarat «IPCC» hat das «einfach» definiert: «Politikrelevant, aber nicht Politik vorschreibend.» Das tönt ganz einfach. Man legt einfach die Fakten auf den Tisch und dann kann die Gesellschaft diese Fakten übernehmen und entscheiden. Aber es ist nicht ganz so einfach. Irgendwann folgt aus den wissenschaftlichen Schlüssen nämlich, dass der Mensch die Erwärmung verursacht, und aus anderen Fakten, dass wir ein Abkommen von Paris haben und die «UNFCCC», dass man den Klimawandel begrenzen will. Dann folgt zwingend, dass man etwas tun muss. Man muss. Wir können zwar nicht sagen, wie man das machen muss, aber als Wissenschaftler muss ich so weit kommen, dass ich sage: «Ja, man muss.» Und das schreibt in einem gewissen Sinne etwas vor.

Und die Fragen kommen natürlich dann trotz-dem, selbst wenn man sie nicht beantworten möchte. Die erste Frage des Journalisten ist, wie warm es werde. Ich antworte: «3 °C.» Wissenschaftliche Antwort. «Müssen wir uns Sorgen machen, Herr Knutti?» Das ist keine wissenschaftliche Frage. «Was soll ich tun?», ist auch nicht eine rein wissenschaftliche Frage. Gestern hat mich Frau Huber-Hotz, die frühere Bundeskanzlerin, die auch hier sitzt, gefragt, ob die Schweiz zu wenig mache für den Klimaschutz. Da habe ich gezögert. Die wissenschaftliche Antwort ist nicht ganz so klar. Natürlich macht die Schweiz zu wenig, wie alle anderen auch. Aber man kann lange diskutieren, wer wie viel muss, und man kann argumentieren: «Die Schweiz hat doch schon und sie muss doch nicht und die anderen müssen mehr und so.»

Sie sehen, diese Diskussion, die Unterscheidung zwischen den rein wissenschaftlichen Fakten und der Interpretation ist nicht immer einfach. Wenn wir diese Fakten nicht interpretieren, werden es andere für uns tun. Andere, die weniger wissen und die eine sehr klare Agenda haben.

Das andere Extrem vielleicht, hier ein Bild nach den Erdbeben 2009 in Italien: Die Wissenschaftler wurden vor Gericht angeklagt, weil sie ungenügend vor den Erdbeben gewarnt hätten. Also haben wir eine Verantwortung sicherzustellen, dass diese Fakten gehört werden. Und es gibt eine feine Linie zwischen dem Informieren und dem Sagen, was man tun könnte, und irgendwann dem Sagen, was man tun müsste.

Sie sehen also, die Herausforderungen sind gross. Sie sind gross bei der Kommunikation, bei den Lösungen, gesellschaftliche Transformationen hinzubekommen. Ich glaube, Sie alle, wir alle, können zu einem faktenbasierten und lösungsorientierten Dialog beitragen. Es ist wichtig, die Fakten zu prüfen, vertrauenswürdige Quellen zu suchen. Und es braucht eine Bereitschaft, mehr als zwanzig Sekunden zuzuhören. Komplexe Probleme haben selten einfache Lösungen, die man nur mit Ja oder Nein beantworten kann. Und wir müssen die Welt so sehen, wie sie ist, und nicht so, wie wir sie gerne haben möchten.

Aber wir müssen als Wissenschaftler uns auch bewusst sein, dass es viele andere Faktoren auch noch gibt. Es gibt Einzelinteressen, wirtschaftliche, kurzfristige, politische. Aus dem Wissen folgt das Handeln nicht zwingend. Das ist ein politischer Aushandlungsprozess. Für die Wissenschaft bedeutet das, dass wir die Probleme nicht nur analysieren können, sondern wir müssen — und jetzt nicht nur die Klimaforschung isoliert, sondern die ETH oder eine Schweiz als Ganzes — Lösungen aufzeigen. Die Zeit drängt, aber die Apokalypse hilft uns nicht unbedingt. Wenn man bildlich darstellt, dass Leute ertrinken, weil der Meeresspiegel steigt, schafft das kurzfristig Betroffenheit, aber das schafft auch Hilflosigkeit. Man wendet sich ab, weil man das Gefühl hat, man könne nichts dagegen tun.

Wir müssen versuchen aufzuzeigen, wie und was jede und jeder dazu beitragen kann. Und ich glaube, wir als Wissenschaftler müssen breit reflektieren, wir müssen uns einbringen in den Dialog, kritisches Denken ist gefragt, gesellschaftliches Einordnen. Wo ist die nächste Generation von Gerd Folkers (früherer Leiter des Col-legium Helveticum)? Ich weiss nicht, ob er hier ist. Wir müssen den Menschen eine Geschichte erzählen, ohne ihnen vorzuschreiben, was sie tun müssen.

Verehrte Damen und Herren, seit elf Jahren habe ich diese Kaffeetasse hier. Sie kommt vom «National Center for Atmospheric Research», ich habe sie als Postdoc von dort mitgenommen. Sie sehen, sie ist ein bisschen vergilbt. Meistens ist der Kaffee kalt und meistens ist die Tasse schmutzig. Eigentlich ist es nicht mehr als eine Tasse. Aber auf dieser Tasse steht ein Satz vom Gründer des «National Center for Atmospheric Research», Walter Orr Roberts (1915-1990), der es auf den Punkt bringt. Er hat gesagt: «I have a very strong feeling that science exists to serve human wel-fare. It's wonderful to have the opportunity given us by society to do basic research, but in return, we have a very important moral responsibility to apply that research to benefiting humanity.» Oder frei übersetzt: Wir haben ein Privileg, Grundlagenforschung betreiben zu können, aber Forschung ist kein Selbstzweck, sondern muss in irgendeiner Form der Gesellschaft dienen und die Welt besser machen.

Ich glaube, da treffen sich meine Überzeugungen und diejenige der Brandenberger-Stiftung. Und in diesem Sinne ehrt mich und freut mich diese Auszeichnung sehr. Und ich freue mich, gemeinsam mit vielen von Ihnen auch in Zukunft einen Beitrag zur Forschung und zum Dialog mit der Gesellschaft zu leisten. Herzlichen Dank!

Bemerkung des Herausgebers:
Der vorstehende Text ist ein vom Preisträger verfasstes und leicht bearbeitetes Transkript seiner Ansprache anlässlich der Preisverleihung. Der Preisträger benützte bei seinen Ausführungen umfangsreiches Grafik-, Tabellen- und Bildmaterial, auf welches er in der Ansprache verweist. Diese Verweise wurden im Text stehen gelassen, da das Bildmaterial im Video (https://vimeo.com/ 304973444), das von der Ansprache gemacht wurde, betrachtet werden kann.

Video: https://vimeo.com/304973444