2014 Walter J. Ammann

Geboren am 15. Juli 1949, arbeitete nach seiner Promotion einige Jahre als Bauingenieur in der Industrie, um anschliessend in den ETH- Bereich zu wechseln, wo er unter anderem das Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos leitete, Stellvertretender Direktor der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL Birmensdorf und Mitglied des Board of Directors des DRM World Institute für Disaster Risk Management des ETH-Rates, der Welt-bank und von Swiss-Re war. Seit 2007 leitet Walter J. Ammann die von ihm gegründete Stiftung Global Risk Forum GRF in Davos für ein integrales Risikomanagement. Er baute ein weltweites Netz von Forschungsanstalten, UN-Organisationen, NGOs und privaten Institutionen auf und wirkt in einer Vielzahl von nationalen und internationalen Gremien mit.

In Würdigung seines in langjähriger Forschung und praktischer Tätigkeit erarbeiteten und weltweit anerkannten Konzepts des integralen Risikomanagements zur Erkennung, Prävention, Verringerung und Bewältigung existentieller Risiken für Mensch und Umwelt.

Laudatio

Annemarie Huber-Hotz

Die Brandenberger-Stiftung will dieses Jahr eine Persönlichkeit auszeichnen, «die Herausragen-des geleistet hat zur Meisterung von Natur- und Umweltkatastrophen ».
Die Wahl dieses Themas ist kein Zufall, denn Natur- und Umweltkatastrophen drängen sich buchstäblich mit aller Gewalt in den Vorder-grund. Vor noch nicht allzu langer Zeit waren sie seltene geschichtliche Ereignisse. In den letzten Jahrzehnten aber treten sie in beängstigender Weise immer häufiger auf und ihre zerstörerische Wucht nimmt ständig zu. Viele Wissenschaftler haben dies kommen sehen und haben davor gewarnt, denn sie haben erkannt, dass die Hauptursache dieser Entwicklung der Mensch selber ist.

Aber der Mensch wird nun einmal nicht gern gewarnt. Das wussten schon die alten Griechen und haben es deshalb in der Gestalt der Kassandra in ihre Mythologie verwoben. Sie erinnern sich vielleicht: Der Gott Apollo hatte sich derart in die schöne Kassandra verliebt, dass er sie um jeden Preis besitzen wollte. Um sicher zu gehen, schenkte er ihr grosszügig die Gabe der Weissagung. Kassandra aber liess sich von ihm nicht verführen und wies ihn ab. Apollo konnte sein Geschenk nicht zurückziehen, aber in seiner Wut verfluchte er Kassandra und machte, dass niemand ihre Rufe ernst nahm. So heissen denn heute noch Warnungen, die in den Wind geschlagen werden, Kassandra-Rufe.
Und just als ich über diese Laudatio nachdachte, brachte «Der Bund» am 18. Oktober—gleichsam als Illustration — einen grossen Artikel mit dem Titel:

«Zerstörerische Erdbeben jederzeit möglich»

«Eine Serie von Erdbeben erschüttert zurzeit das Berner Oberland. Die Überprüfung bestehender Bauten auf ihre Erdbebensicherheit halten SVP und Gewerbe im Gegensatz zum Kanton nicht für nötig, obwohl die Wissenschaft jederzeit mit starken Erdbeben rechnet.»

Ich will mich hier nicht zur Angemessenheit dieser Haltung äussern, das könnte ich gar nicht. Aber es beeindruckt mich doch, mit welcher Lockerheit man hier eine vom Kanton gewünschte Überprüfung älterer Gebäude auf ihre Erdbebensicherheit pauschal ablehnt mit dem Hinweis, das Risiko sei zu gering und der Sicherheitsgewinn zu bescheiden. Zudem sei es möglich, die Leute dank einem Frühwarnsystem zu alarmieren. Das Problem ist nur: Ein solches System gibt es nicht, wir sind noch weit davon entfernt.
Sie sehen, meine Damen und Herren, Apollos Fluch ist auch heute noch wirksam. Dieses kleine Beispiel zeigt Ihnen, wie schnell noch so gut begründete Warnungen verpuffen, wenn nicht überall Persönlichkeiten sich voll und ganz dafür einsetzen, dass sie im Bewusstsein der Gesellschaft bleiben und die Entscheide, die sie verlangen, getroffen und verwirklicht werden.

Genau eine solche Persönlichkeit ist Walter Am-mann und ich habe deshalb meiner Laudatio die Überschrift gegeben:

Walter Ammann, ein Anwalt für Kassandra

Walter Ammann will nämlich mit seiner unermüdlichen und vielgestaltigen Arbeit nichts anderes als mitzuwirken, dass begründete Warnungen nicht einfach verpuffen, sondern gehört und verstanden werden von einem wachen Publikum, das Einblick in die Zusammenhänge hat und so den Mut und die Kraft aufbringt, die notwendigen Massnahmen zu treffen, um Katastrophen rechtzeitig vorzubeugen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, Katastrophen möglichst effizient zu bewältigen.
Risikokultur
In seiner langjährigen wissenschaftlichen Tätigkeit hat Walter Ammann entdeckt, wie ausserordentlich komplex der Umgang mit Katastrophengefahren ist. In solchen Gefahren sind die unterschiedlichsten Kräfte auf eine oft nur schwer erkennbare Art miteinander vernetzt und können sich in ihrer Kombination potenzieren. Ammann fordert deshalb eine eigentliche Risikokultur, welche die Grundlage bildet für die Entscheidfindung im Bereich des Risikomanagements und die vor allem auch die Voraussetzungen dafür bietet, dass solche Entscheidungen umgesetzt werden.

Grundlagen

Eine solche Kultur braucht eine solide wissenschaftliche Grundlage:
•    Es geht darum, Gefahrenfaktoren zu erfassen, zu beschreiben und zu erkennen, wie sie zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen.
•    Es braucht auch eine klare Begrifflichkeit, die kulturellen Unterschieden Rechnung trägt und eine internationale wissenschaftliche und politische Zusammenarbeit erlaubt.
•    Und schliesslich muss die Wissenschaft zuhanden der Politik Vorschläge zur Abwendung und Bewältigung von Naturkatastrophen formulieren.

Eine solche Kultur erfordert auch:
•    eine optimale Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis
•    Fachlehrgänge sowie adäquate Unterlagen für pädagogische Arbeit und schulischen Unterricht
•    gute Zusammenarbeit mit staatlichen und wirtschaftlichen Institutionen, und schliesslich
•    intensive Medienarbeit, die aufklärt und motiviert.

In all diesen Bereichen hat Walter Ammann wertvolle Pionierarbeit geleistet:
•    So hat er schon seine Doktorarbeit dem Thema Stahlbeton- und Spannbetontragwerke unter stossartiger Belastung gewidmet.
•    Zudem hat er mit weit über 200 Publikationen den internationalen Diskurs zum Risikomanagement belebt.
•    Wichtige Erfahrungen sammelte er auch in Erdbebenprojekten in China, als Leiter der Forschungsabteilung Bautechnologie der Hilti AG, als Leiter des Eidg. Instituts für Schnee- und Lawinenforschung in Davos, als Mitglied der Direktion der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) und als Leiter von deren Forschungsbereich Naturgefahren sowie als Präsident des CENAT, des Kompetenzzentrums Naturgefahren des ETH Bereichs und der Schweizer Universitäten.
•    Seit 20 Jahren ist er Mitglied und seit 10 Jahren Stiftungsratspräsident des Schweizerischen Forschungsinstituts für Hochgebirgsklima und Medizin, dessen zwei Davoser Institute, das Schweizerische Institut für Allergie- und Asthmaforschung SIAF und das Physikalisch-Meteorologische Observatorium Davos PMOD, Weltruf geniessen.
•    Und schliesslich hat er 2007 das Global Risk Forum GRF Davos gegründet und amtet als dessen Präsident und CEO.

Entwicklung

Aufgrund seiner Einblicke in das Wesen und die Zusammenhänge von Naturgefahren hat Walter Ammann sein Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung schon in den 90er Jahren strategisch neu ausgerichtet — auch gegen erhebliche Widerstände — und neue Forschungsgebiete erschlossen. So hat er alle alpinen Naturgefahren, Fragen des Permafrosts, des Klimawandels, der Nachhaltigkeit oder Fragen zur Wirkung der Schutzwälder in die Institutsarbeit einbezogen. Zudem hat er die Lawinenwarnung und die heute einheitlich verwendeten europäischen Lawinen-gefahrenstufen wesentlich mitgeprägt und sich entscheidend für den Bau von Grossversuchsanlagen für Lawinen, Steinschlag und Murgänge eingesetzt, mit denen die am Institut entwickelten Computermodelle geeicht werden konnten. Und schliesslich entstand unter seiner Leitung der Neubau des Instituts mit 150 bestausgerüsteten Arbeitsplätzen.

Wer an einer Risikokultur arbeitet, muss beweglich, geistig unruhig und immer bereit sein, Erreichtes zu hinterfragen. Und vor allem muss er ein begnadeter Vernetzer sein, der solide Beziehungen zwischen Wissenschaft, Praxis und Politik auf nationaler und internationaler Ebene etablieren kann und in der Lage ist, durch breite Öffentlichkeitsarbeit zu erreichen, dass die Gesellschaft als Ganzes sich mit den Problemen der Umweltgefahren auseinandersetzt. Diese Voraussetzungen hat Walter Ammann in hohem Masse. Er hat sich nicht in seiner wissenschaftlichen Spezialität eingerichtet, sondern immer Interdisziplinarität, den Dialog mit der Praxis und Zusammenarbeit mit staatlichen und wirtschaftlichen Institutionen gesucht. Sein Netzwerk ist weltweit und reicht in alle Disziplinen. Er hat einen Horizont nie als endgültiges Ziel oder als Abschrankung, sondern immer als Tür verstanden, die sich zu neuen Räumen öffnet.

Das Global Risk Forum Davos
 
Im Jahr 2006 setzte W. Ammann einen wichtigen Meilenstein auf seinem Weg zu einer eigentlichen Risikokultur. Er organisierte die erste International Disaster and Risk Conference IDRC Davos und gründete danach das Global Risk Forum GRF Davos. Diese Stiftung führte die IDRC im vergangenen August bereits zum 5. Mal und mit rund 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 100 Ländern durch.

Das GRF Davos führt im kommenden Jahr auch bereits seinen breit angelegten 3. One Health Summit mit rund 500 Teilnehmerinnen und Teil-nehmern aus 75 Ländern durch. Im Zentrum stehen der gegenseitige Einfluss von Mensch, Tier und Umwelt, die nachhaltige landwirtschaftliche und industrielle Produktion von Nahrungsmitteln und ausreichender Energie sowie sauberes Wasser und intakte Böden.
Charakteristisch für die vom GRF Davos organisierten Konferenzen sind der integrative Risiko-ansatz, der sämtliche Risikobereiche umfasst, von den Naturgefahren über technische und bio-logische Risiken, über die Folgen des Klimawandels, über Pandemien bis zum Terrorismus. Ganz wichtig und neu ist das Zusammenwirken aller Disziplinen, Ingenieur-, Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften, Medizin, Stakeholders der Praxis, der Wissenschaft, der Regierungsstellen und der UN-Organisationen.
 
Ich erachte solche interdisziplinären und interkulturellen Anlässe schon aus rein wissenschaftlicher und fachlicher Sicht als sehr notwendig und befruchtend, vor allem dann, wenn sie so sorgfältig vorbereitet und geleitet werden wie im GRF Davos. Wissenschafter und Spezialisten aus staatlichen und wirtschaftlichen Kreisen müssen immer wieder in den Genuss der sauerstoffreichen Alpenluft der Interdisziplinarität und Interkulturalität kommen. Wer sich so im Perspektivenwechsel übt, bekommt einen viel differenzierteren Blick, weil er sich von der Eindimensionalität löst und die Fähigkeit entwickelt, sich in seine Gesprächspartner hineinzuversetzen. Seine Gedanken laufen nicht mehr nur auf den Schienen seines Fachs oder seiner Institution. Sie werden freier und so kommt es leichter dazu, dass sich Überlegungen zu einem Gedanken vereinen, der noch nie gedacht worden ist.
Die politische Gestaltungsmacht eines kleinen Landes, meine Damen und Herren, liegt in seiner Inspirationskraft. Das weltweit hohe Ansehen, welches das GRF Davos geniesst, ist ein schönes Beispiel dafür.

From thoughts to action


Das GRF Davos ist nicht ein Ort selbstgenüglicher Wissenschaft. Es läuft vielmehr unter dem Motto «From thoughts to action». Die Dringlichkeit, die in dieser Formulierung aufscheint, ist mehr als nur berechtigt. In gut einem halben Jahrhundert haben Technik und Wissenschaft uns die Erde so verkleinert und überschaubar gemacht, dass wir sie gleichsam in den Händen halten und studieren können. Dabei wird uns immer deutlicher, wie verletzlich sie ist, die uns einmal so gewaltig gross und unverwundbar schien. Gleichzeitig sind die Arme des Menschen sehr viel länger geworden. Er hat die Möglichkeit — direkt oder indirekt und erst noch meist nicht gleich erkennbar — in die Kreisläufe der Erde einzugreifen und Leben erzeugende Harmonie zu stören. Und der Mensch tut es. Das zeigen uns überdeutlich alle einschlägigen Statistiken und vor allem die beängstigende Zunahme grosser Katastrophen. Deshalb müssen wir dankbar sein für den breiten Ansatz des GRF Davos. Die Botschaft lautet ganz klar: Die Schaffung einer eigentlichen Risikokultur muss als gesamtgesellschaftliche Herausforderung betrachtet werden. Der Mensch muss erkennen und anerkennen, dass er nicht Herr der Erde ist, sondern nur einer ihrer Bewohner, und dass es in seinem eigenen Interesse liegt, mit ihr und ihren anderen Bewohnern in Harmonie zu leben. Eigeninteresse ist nicht zu verwechseln mit Egoismus, der blind ist für die Interessen der Anderen.
Egoistische Politik ist alles andere als nachhaltig. Sie fällt ins Nichts, sobald sie den Ast absägt, der sie trägt. Im eigenen Interesse handeln heisst partnerschaftlich handeln. Wenn der Mensch überleben will, bleibt ihm keine andere Wahl. In Anlehnung an die Leipziger Rede von Bundesrat Berset könnte man es auch so sagen: Wir haben das Privileg, mit der Erde und ihren anderen Bewohnern auskommen zu müssen.

Walter Ammann ist also nicht nur ein Warner, sondern tatsächlich ein Anwalt Kassandras. Er trägt mit seinem beispielhaften Einsatz in Wissenschaft, Lehre und Praxis dazu bei, die Menschen zu befähigen, ihre Verantwortung zu sehen und die Herausforderung anzunehmen, die ein harmonisches Miteinander auf dieser Erde an sie stellt. Er verdient den Brandenberger-Preis 2014 voll und ganz. Ich beglückwünsche ihn von Herzen dazu und wünsche ihm — auch im eigenen Interesse —, dass ihm seine Kreativität, seine unbeirrbare Hartnäckigkeit und seine Inspirationskraft die Treue halten.


Integrales Risikomanagement

Walter I. Ammann

Ich bin sehr berührt von den einführenden, lobenden Worten des Präsidenten der Stiftung, Herr alt Ständerat Schmid und der Laudatorin, Frau Dr. Huber-Hotz, und von der grossen Ehre, die Sie mir, sehr geehrte Mitglieder des Stiftungsrates und der Preiskommission, mit der Verleihung des diesjährigen Preises der Stiftung Dr. J. E. Brandenberger, zuteil kommen lassen. Ich danke Ihnen sehr herzlich für die ehrenvolle Zuerkennung dieses Preises.

Die Innen- und Aussensicht, die Selbst- und Fremdwahrnehmung, sind bekanntlich häufig nicht deckungsgleich. Und je älter man wird, desto mehr rücken Leistungen und Erfolge, die man vermeintlich erzielt hat, in den Hintergrund. Was einem einmal als wissenschaftliches Ergebnis bedeutsam war, ist aus einer späteren Optik, mir geht das so, nicht mehr so wichtig. Umso mehr war ich überrascht, dass meine Arbeit offenbar Gefallen gefunden hat. Und wenn ich mit meiner Tätigkeit — wie Sie, sehr geehrter Herr Präsident ausgeführt haben — dem Anliegen der Stiftungsgeberin, Frau Irma Marthe Brandenberger entspreche, und einen Beitrag leisten konnte zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen, dann freut mich dies umso mehr.

Soviel Lob und Ehre an einem einzigen Tag — eigentlich weiss ich nicht so recht, wie ich damit umgehen soll. Eines weiss ich bestimmt: Ich freue mich sehr, dass ich den heutigen Tag zusammen mit Ihnen feiern und — so ich und Sie diese Rede hinter sich haben — geniessen darf. Sehr gerne nutze ich damit auch die Gelegenheit, Ihnen, sehr verehrte Damen und Herren, liebe Freunde und Familie, meine Wertschätzung und Dankbarkeit für den heutigen Tag, für den Preis, und für Ihre teils jahrzehntelange Begleitung und wertvolle Unterstützung zum Ausdruck zu bringen.

Meine heutige grosse Freude hat ihren Anfang erlebt am Donnerstag, 10. Juli 2014, abends um 10h. Ich sass damals in einem Zimmer im Guest House der National University in Seoul, wo ich zur Jahreskonferenz der Asiatischen Gesellschaft für Veterinärmedizin eingeladen war. Ich checkte meine emails und wunderte mich über eine email Adresse mit der Adresse carlo.schmid@ bluewin.ch In der email stand kurz und bündig zu lesen «Es würde den Stiftungsrat der Stiftung Dr. J. E. Brandenberger freuen, wenn Sie den Preis der Stiftung Dr. J. E. Brandenberger annehmen würden. Weiteres ersehen Sie aus dem an-gehängten Brief.» Ich erhalte, wie Sie vermutlich auch, fast täglich irgend eine Lotterie-Gewinn-Notifikation — aber diese Mitteilung war doch etwas anders.

Ich habe die email und den Brief mehrfach gelesen und trotz Jet-lag immer wieder dieselbe absolut unerwartete und unglaubliche Message aufgenommen: Du bist angefragt, ob Du einen Preis akzeptieren willst. Allmählich begriff ich, dass email und Brief tatsächlich keine Spam waren. Und ob ich den Preis annehmen wollte. Leider, oder auch zum Glück, war das Zimmer spartanisch eingerichtet und auch im Getränkeautomat auf dem Korridor gab's nur koreanisches Blöterliwasser und das zwar bekannte, mir aber nicht unbedingt mundende amerikanisches Süssgetränk. Dann freu Dich mal schön und das eine ganze Weile, hab ich mir gedacht, auch ganz richtig und fest—gar übermässig, weil ich nicht umhin kam, einige Tränen der Freude zu verdrücken.

Später erst gesellte sich zur grossen Freude und Dankbarkeit auch eine gewisse — ich muss es gestehen — eine gewisse Genugtuung ein. Genugtuung darüber, dass die geleistete Arbeit und die damit verbundenen Anliegen auch in der Schweiz nicht ganz ungehört verhallt sind. Wir haben bekanntlich schon Meinungsfreiheit in der Schweiz, aber diese auch ungefragt und öffentlich zum Ausdruck zu bringen und konsequent zu vertreten, ist nicht immer förderlich. Sich inter- und transdisziplinär zu bewegen, ist nicht nur in der Welt der Wissenschaft uncool, sondern gilt genauso — wenn nicht noch mehr — auch bei einigen nationalen und internationalen Institutionen, Verbänden und Gesellschaften. Dabei geht es leider häufig nicht um die Sache und um Inhalte, sondern um Ängste, dass institutionelle Strukturen und Zuständigkeiten hinterfragt, oder noch schlimmer, gar umgangen oder vorhandene Gartenzäune — um nicht von Silomauern zu sprechen — überklettert werden könnten.

«Hansdampf in allen Gassen» ist eine Begrifflichkeit, die dann gerne und oft als Reaktion für derartige Grenzverletzungen verwendet wird. Es kann doch nicht sein, dass sich ein gelernter Bauingenieur anmasst, sich zu Gesundheitsfragen zu äussern. Kein Wunder, dass er den Begriff des One Health falsch interpretiert. Nun, ich habe für mich stets eine gewisse «Naivität» in Anspruch genommen, neue Dinge unvoreingenommen, aber mit grossem Interesse und Engagement, anzugehen. Dies hat mir stets geholfen. Dass ich eine ordentliche Portion Hartnäckigkeit an den Tag lege, um Ziele auch gegen Wider-stände zu verfolgen und zu erreichen, sagt man mir ebenfalls nach. Möglicherweise trifft das zu. Ich hatte gestern Abend, die Ehre und Freude, auch seitens des Kantons Graubünden einen An-erkennungspreis in Empfang nehmen zu dürfen, u. a. als Anerkennung wie es heisst «... für seinen beharrlichen Einsatz für die Stärkung des Forschungsplatzes Davos». Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit — ich gebe auch gerne zu, dass man von Sturheit sprechen könnte.

Dass ich heute und hier in diesem eindrücklichen Festsaal den Preis der Dr. J. E. Brandenberger Stiftung entgegen nehmen darf, dafür bin ich der Stifterin und Ihnen, sehr verehrte Damen und Herren als Mitglieder des Stiftungsrates und der Preiskommission ausserordentlich dankbar. Ich hoffe, dass es mir in den kommenden Jahren vergönnt ist, noch Einiges im Sinne der Stifterin und ihres Vaters voranzubringen.

Ich weiss aber auch, dass ich diese Auszeichnung und Ehrung nie im Alleingang geschafft hätte, sondern diese nur dank Ihnen hier Anwesende erreicht habe. In diesem Sinne betrachte ich den Preis auch als Anerkennung für eine über die Jahre und Jahrzehnte gewachsene, umfassende Gemeinschaftsleistung, für die ich mich bei Ihnen sehr herzlich bedanke.

Ich bedanke mich bei meinen früheren Arbeitgebern, dass sie mich diesen Weg gehen liessen, mir sehr viele Freiheiten gelassen haben, und meine Beharrlichkeit — um nicht zu sagen Sturheit — ertragen und mich stets gefördert haben. Ich danke meinen beruflichen Vorbildern aus Wissenschaft und Wirtschaft, die stets Wissenschaft und praktische Umsetzung eng verknüpft haben. Ich danke meinen Studienkolleginnen und — kollegen für Ihre Freundschaft und stete Unterstützung weit über das Studium hinaus. Mit der Gründung des Global Risk Forums GRF Davos und dessen Betrieb in den letzten 7 Jahren durfte ich massgebliche Unterstützung erfahren seitens verschiedener Bundesämter, kantonaler Ämter und der Privatwirtschaft, aber auch seitens verschiedener UN und Internationaler Organisationen und Universitäten. Dafür bin ich ausserordentlich dankbar. Ich möchte in diesen Dank aber auch meine früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am SLF Davos und an der WSL in Birmensdorf einschliessen, insbesondere aber meine derzeitigen Mitarbeitenden, die mit uns zusammenarbeitenden Expertinnen und Experten, und den Stiftungsrat von GRF Davos. Die IDRC Davos Konferenzen, um ein GRF Davos Produkt als Beispiel zu nennen, sind dank ihnen zu einer internationalen, hoch angesehenen Plattform geworden, an welcher Verantwortliche aus aller Welt nach Lösungen suchen für den Umgang mit ihren drängenden Risiken. Mein Dank gilt aber insbesondere auch meiner Familie, vorab meinen Eltern, so sie noch da wären, und meinen drei älteren Brüdern, die mir Ammann'sche Beharrlichkeit und neben Lesen und Schreiben vieles mehr beigebracht und ein Studium ermöglicht haben, auch wenn ich längst nicht die besten Noten von den vier gehabt habe. Und last but not least geht mein grösster Dank an meine drei Kinder und ihre Mutter. Sie hatten es nicht immer einfach mit einem Vater, für den Arbeit und Leistung das wichtigste waren — und wohl immer noch sind.

Lassen Sie mich nach diesen Dankesworten nun kurz auf einige Anliegen zu sprechen kommen, die mir wichtig sind und die mich auch dazu bewogen haben, nach 15 Jahren SLF, WSL und ETH Bereich mit dem Global Risk Forum GRF Davos einen eigenen Weg zu gehen (Punkte werden anhand von Folien kurz erläutert):

1. Die enge Verknüpfung von Wissenschaft und Umsetzung in die Praxis. Vom WAS zum WIE. Wissenschaftliche Erkenntnis braucht zu lange, bis sie in der Praxis umgesetzt ist. Es bestehen zu wenig Anreize, sich für diesen Transfer zu engagieren und ihn damit auch zu beschleunigen. Anreize für den weltweiten Zugang zu Wissen schaffen (Köpfe sind weltweit gleichmässig verteilt — der Zugang zu Bildung ist es hingegen nicht).

2.    Inter- und Transdisziplinarität. Nur damit kann unsere Gesellschaft ihre Probleme lö-sen. Die Mischung von Generalist und Spezialist ist wichtig.

3.    Integrales Risikomanagement: die Vielfalt der Risiken (Naturgefahren, technische Risiken, biologische Risiken, ökologische Risiken, Gesundheit, Resourcen, etc.) muss gesamtheitlich betrachtet werden, sämtliche wissenschaftlichen Disziplinen, sämtliche Beteiligten und Betroffenen sind als Einheit zu sehen.
4.    Festlegen von Schutzzielen. Wie sicher ist sicher genug? «If our priorities in managing risks are not cost-effective, we are, in effect, killing people whose premature deaths could be pre-vented.» (David Okrent, in Science, 1980).

5.    Risiken und Chancen sind siamesische Zwillinge, die nicht getrennt werden sollten (Internalisierung der Chancen/Gewinne, Externa-lisierung der Risiken/Schäden)

6.    Risikobasiertes, integrales Gesundheitswesen. One Health als Lösung. One Health als ein Zusammenspiel und sich gegenseitig beeinflussende Gesundheit von Mensch, Tier und der Umwelt, kombiniert mit nachhaltiger landwirtschaftlicher und industrieller Produktion der Nahrungsmittel, sauberem Wasser und ausreichender Energie. (Neue Krankheitsbilder, zunehmend auftretende Allergien und Pandemien zeigen auf, wie eng die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt miteinander verflochten sind.)
 
7.    Im kommenden Jahr stehen international drei wichtige UN Protokolle zur Verlängerung für mindestens eine weitere Dekade an; im Frühling das sog. Framework for Disaster Risk Reduction und im Herbst das Klima-Protokoll und die UN Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDG). Das Framework for DRR muss als Teil der UN Ziele für eine nachhaltige Entwicklung verstanden werden. Aber auch die drei UNO Konventionen zur Nachhaltigkeit (Klima, Bodendegradation, Biodiversität) und der Umgang mit Naturgefahren sind als Einheit zu sehen (thematisch, institutionell, finanziell). Die SDGs müssen den Ausgleich globaler Ungleichheiten (Armut, Hunger, Zugang zu Wasser, Hygiene, etc.) rasch möglichst erreichen.

B. Die Diskrepanz zwischen der Forderung der globalen Politik und Wirtschaft des ständigen Wachstums und der Endlichkeit unserer Res-sourcen. Wohlstand und Wohlergehen darf nicht nur an ständiges Wachstum gekoppelt werden. Eine sachliche Diskussion über Null-wachstum muss möglich sein und entsprechende politische Lösungen müssen angegangen werden.

9.    Die Rückführung der Finanzwirtschaft auf ihre zentrale Bestimmung: die Unterstützung der Realwirtschaft. Das billige Geld der letzten Jahre hat nicht primär die Wirtschaft als vielmehr die Vermögen wachsen lassen. («Eigentlich ist es gut, dass die Menschen unser Banken- und Währungssystem nicht verstehen. Würden sie es nämlich, so hätten wir eine Revolution vor morgen früh». Henry Ford, Gründer von Ford.).

10.    Die Stärkung des Forschungsplatzes Davos. Abschliessend interessiert Sie vielleicht noch, wie ich gedenke, das Preisgeld einzusetzen.
 
Aus meinen Ausführungen können Sie erahnen, dass ich damit nicht zur nächsten Bank gehen werde, um damit auch Monopoly zu spielen. Stiftungsrechtlich werde ich das Geld auch nicht unter meine Matratze legen können, es also doch auf die Bank bringen müssen, in der Hoffnung, dass der nächste Zusammenbruch der Banken noch etwas auf sich warten lässt. Vor dem nahenden Apero und dem baldigem Mittagessen möchte ich Sie aber nicht mit einem derartigen Szenario in Schrecken versetzen. Ich werde also das Geld auf die Bank bringen, auf keine Schattenbank so hoffe ich — Sie sehen, ich kann es doch nicht ganz lassen — und werde das Geld verwenden für
•    ein Mehr an integralem Risikomanagement — «Weissbuch Risikolandschaft Schweiz»;
•    ein Mehr an Inter- und Transdisziplinarität — erneuter Anlauf zur Schaffung einer «International One Health Academy»
•    ein Mehr an Sturheit.