2007 Judith Keller

Judith Keller wurde am 27. Januar 1946 in St. Gallen geboren. An Schule und Ausbildung zur Krankenschwester schloss sich der Eintritt in die Kongregation der Kleinen Schwestern Jesu von Charles de Foucauld. 1972 Einsatz in In-dien, Krankenschwester an der Leprastation des St. John's Hospital, Pirappancode, Kerala; 1974 Krankenschwester und Sozialarbeiterin am Yesu Ashram, Pandey Ghat, Varanasi. Mit Blick auf ihre weitere Arbeit verlässt sie, ungern, die Kongregation und gründet 1990 das in der Nähe von Varanasi gelegene KIRAN Kinderdorf für Kinder mit körperlichen oder mehrfachen Behinderungen. Ziel sind die soziale Integration, Ausbildung und Therapie unter Einbezug der Familien. Die KIRAN-Institution hat heute in Indien Vorzeige-charakter; sie ist zu einer staatlich anerkannten Ausbildungsstätte für Heilpädagogen und Therapeuten geworden, welche sich zum Ziel gesetzt haben, in der Bevölkerung die Sensibilität für die Notwendigkeit der Rehabilitation und der Wiedereingliederung behinderter Kinder und Erwachsener zu wecken und zu stärken.
Für ihren jahrzehntelangen selbstlosen Einsatz zugunsten behinderter und rechtloser Kinder, in Anerkennung des modellhaften Einbezugs des sozialen Umfeldes der Kinder bei ihrer Rehabilitation, Betreuung, Schulung und gesellschaftlichen Integration und in Würdigung der hiefür notwendigen Überwindung gesellschaftlicher Vorbehalte.

Laudatio

Beat Sitter-Liver

Auftakt

Die Brandenberger-Stiftung ehrt in Judith Keller eine Persönlichkeit, die in Benares (Varanasi) und Umgebung über Jahrzehnte hinweg für die Armen lebt. Vor knapp zwanzig Jahren rief sie ein im Lande heute als beispielhaft geehrtes und ausgezeichnetes Zentrum ins Leben: das KIRAN Kinderdorf, heute besser das KIRAN-Werk. Hier finden behinderte Kinder, sonst arm und faktisch rechtlos, Rehabilitation, geniessen Schulung und Ausbildung, gewinnen Kraft und Selbstachtung, um in der Lage zu sein, ein möglichst selbständiges Dasein zu führen.

Leitgedanke dieses modellhaften Projektes, das unterdessen zweimal mit wichtigen Preisen ausgezeichnet wurde', ist Arbeit an der Verwirklichung des Ideals der Humanität, ist die praktische Umsetzung des Prinzips der Menschenwürde. Das KIRAN Team selber konkretisiert diesen Leitgedanken in seinen «Visionen» wie folgt: «Wir wünschen, dass unsere Arbeit und unser Leben mit den behinderten Kindern geleitet seien von den Prinzipien des Teilens, von der Bereitschaft, von einander zu lernen, vom tiefen Respekt vor jedem Einzelnen, besonders vor dem Schwächeren.»
 
Wer ist Judith Keller?

Natürlich ist Judith Keller vielen von Ihnen bekannt, gar vertraut. Ich will dennoch versuchen, zu den vorhandenen Antworten auf die Frage im Titel dieses Abschnitts fünf Aspekte beizusteuern, die unsere Preisträgerin in besonderer Weise kennzeichnen. — Mitte September hatte ich Gelegenheit, Judith Keller in Rebstein im St. Galler Rheintal zu einem längeren Gespräch zu treffen. Sie verbrachte ein paar Ferientage bei ihrer Schwester und deren Mann, die beide mit von der Partie waren. Wir verlebten drei frohe Stunden. Erzählung, Erinnerung, helles Lachen, auch Nachdenklichkeit und Besinnung lösten einander ab. Da legte ich Judith Keller, der Wahl-Inderin, einen Satz aus den für die indische Lebenswelt auch heute noch wichtigen Rechtsbüchern des Manu vor und fragte sie, ob sie sich darin wieder erkenne. So lautete die Weisheit aus unserer Zeitenwende, die zugleich als sittliche Anleitung zu lesen ist: «Kinder, alte Leute, Arme und Kranke sollen als die Herren der Atmosphäre erachtet werden.»3 Es blieb einige Zeit still, dann kam die klare Antwort: «Ich glaube, ja.» Also kein rasches Ja. An der Gewissheit freilich war kein Zweifel möglich. Das leise Zögern, so jedenfalls schien mir, galt der selbstkritischen Frage der Antwortenden, ob sie selber denn dem, was sie für verpflichtend erklärte, auch zu genügen vermöchte. Trifft meine Vermutung zu, dann wäre dies Ausdruck jener fruchtbaren Gegensätzlichkeit oder vielleicht besser Spannung in Judith Keller, die ihr Vertraute attestieren — eine Spannung, in welcher etwa die Armut und Stille suchende Ordensfrau mit der die entscheidungs- und führungsfreudigen Direktorin oder auch die bedächtige und umsichtige Fürsorgerin mit der zuversichtlichen bis sorglosen Aktivistin zusammengehen.
Meine zweite Antwort ist anderer Natur. Judith Keller lebt, energisch und zielsicher, die Über-zeugung, dass, was ansteht, ohne Verzug, nach bestem Wissen und Können — und Gewissen —zu erledigen sei. Bei Kaffee und feinem «Fladen» überreichte sie mir, schön formatiert und mit dem Bild reicher Kirschblüten im sonnenblauen Himmel geschmückt, eben jene Rede, die Sie, nach meiner Ansprache, durch ihr Leben und ihr Strahlenwerk (kiran = Strahl) bei Benares und weit darüber hinaus führen wird. Solche Tatkraft, Sie ahnen es, kann einem anderen auch einmal etwas in die Quere kommen. So etwa einem Lobsänger, der eigentlich mit einer kurzen Vita und mit einer Darstellung des ausgezeichneten Werkes aufwarten sollte. Das werden Sie nun von mir so nicht hören; Judith Keller hat das gleich selber an die Hand genommen und bestens erledigt. Auf einige Ergänzungen werde ich mich beschränken, dort etwa, wo die Preisträgerin zurückhaltend ist, so bei ihrem Geburtstag und anderen interessanten Daten: Judith Keller kam am 27. Januar 1946 in St. Gallen zur Welt. Den Weg nach Indien schlug sie mit 26 Jahren ein, 1972, im Jahre der Erfüllung eines Kindertraumes, wie sie sagen wird. Sie hatte sich in der Schwesternschule am Theodosianum in Zürich ausbilden lassen, Vorbereitungen in Genf, in England, dann in Frankreich getroffen, wo sie schliesslich ihr Noviziat absolvierte. Heute ist Indien seit 35 Jahren ihre Wahlheimat. — Ich bitte Sie nun herzlich, wenn ich im Weiteren auf Einzelheiten verzichte, einfach das, was Judith Keller Ihnen vorlegen wird, als in meiner Laudatio enthalten zu betrachten.

Für meine dritte Antwort lade ich Sie ins späte Mittelalter ein. In seiner Predigt zu Lukas 10, 38¬42, greift Meister Eckehart, der grosse Lehrer und Mystiker, die kurze Erzählung von den beiden Schwestern Martha und Maria auf. Sie erinnern sich: Martha, Gastgeberin, nimmt Jesus in ihr Haus auf. Die jüngere Maria sitzt Jesus zu Füssen und lauscht seinen Worten. Martha tritt hinzu und bittet Jesus, er möge Maria heissen, ihr beim Bedienen zu helfen. Jesus antwortet: «Martha, Martha, du machst dir Sorge und Unruhe um vieles; eines nur ist notwendig. Maria hat den guten Teil erwählt, der wird nicht genommen werden von ihr.» Die übliche Auslegung deutet die Erzählung als Hinweis darauf, dass Stille, Hinhören, Versenkung wichtiger sind als Umtriebe, selbst wenn diese anderen dienen. Eckehart kehrt den Spiess um. «Das Leben (nämlich) schenkt die edelste Erkenntnis», schreibt er. Martha, die reife, die «(schon) lange und recht gelebt» hat, sorgt sich um ihre Schwester, die, noch wenig erfahren, sich in der Süsse der Worte Jesu verliert. «Wir hegen den Verdacht, dass sie, die liebe Maria, irgendwie mehr um des wohligen Gefühls als um des geistigen Gewinns dagesessen habe (Quint, 281). Martha dagegen weiss, dass wir dazu «in die Zeit gestellt [sind], dass wir durch vernunfterhelltes <Gewerbe> in der Zeit Gott näher und ähnlicher werden» (ebd.,283). Es ist dieses Wirken in der Zeit, das uns Gott verbindet, so gut «wie das Höchste uns zu teil werden kann» (ebd.,285). Marthas, nicht Marias Sein ist das reife, darum das richtige. — Judith Keller wird uns von ihrer Pilgerwanderung an die Quellen des Ganges berichten, von einem tiefen spirituellen Erlebnis, das sie wünschen liess, Stille und Abgeschiedenheit zu suchen. Der Alltag mit seinen Aufgaben und Sorgen sperrte sich dagegen. Doch langsam wuchs aus der Enttäuschung die Erfahrung, dann die Sicherheit, «dass das Leben auf unerwartetem Wege zu eben dieser Intensität und Kontemplation führt» (J. Keller). Judith begreift, wie Martha, aus der Erfahrung und nun im Wissen, dass der Mensch das Höchste «nicht durch Fliehen lernen [kann], indem er vor den Dingen flüchtet und sich äusserlich in die Einsamkeit kehrt; er muss vielmehr eine innere Einsamkeit lernen, wo und bei wem er auch sei» (Quint, 61). Im Falle von Judith Keller ist das, allem zuvor, bei den ärmsten, bei den behinderten Kindern in und um Benares.
Judith Keller versteht zu verzichten, wenn dies notwendig ist, mag es auch schmerzen und bereits festen Entschlüssen zuwider laufen. Dies meine vierte Antwort. Beleg ist 1993 ihr Austritt aus dem Orden, dem sie sich, begeistert (und gegen mütterlichen wie väterlichen Rat) und für ihr ganzes Leben verpflichtet hatte. Doch die Kleinen Schwestern Jesu wollen mit den Armen leben, so wie sie es verstehen. Eigentum an Grund und Boden, Schaffen von Institutionen und verantwortliches Führen von grösseren Einrichtungen vertragen sich damit nicht. Gerade dies aber musste Judith Keller, wollte sie dem Auftrag zu konkreter Hilfe, zu Förderung und Entwicklung behinderter Kinder, der sie so plötzlich und unerwartet getroffen hatte, folgen. Das Verlassen der ihr lieb gewordenen Gemeinschaft war unvermeidlich; der Entschluss dazu blieb auch nach einer Bedenkzeit von drei Jahren unerschüttert. Die letzte Antwort beinhaltet die Erfüllung einer der wichtigsten Bedingungen, denen genügen muss, wer des Brandenberger-Preises würdig sein soll: Sie bzw. er «muss unter grösstem Einsatz seiner Person und seiner Möglichkeiten als Lebensaufgabe sich um seine Mitmenschen verdient» gemacht haben. Ein Blick in Judith Kellers Lebenslauf zeigt, dass ein grosser sittlicher, früh aus Betroffenheit und Mitleid entsprungener Entschluss sie durch ihr Leben trägt: mit den Bedürftigsten zu leben, der Idee der Humanität reale Form zu geben. Dieses hier noch abstrakt skizzierte Lebensprinzip hat sie in unterschiedlicher Weise konkretisiert, zuerst in kindlich-naiver, darum nicht minder echter und berührender Form. Es bestimmte die Wahl einer auf das Zusammenleben mit den Geringsten ausgerichteten Gemeinschaft; die Ausbildung zur Krankenschwester; die Wahl eines — unter anderem — durch grosse Armut, aber auch durch systembedingte Menschenverachtung gezeichneten Landes; die Hingabe in der Pflege von Leprakranken; schliesslich den rückhaltlosen Einsatz für jene, die sonst ohne Hoffnung blieben: arme behinderte Kinder eben, bis heute über mehr als fünfzehn Jahre hinweg. Den konkreten Weg in seinen Windungen bestimmten nicht subtil erarbeitete Pläne, sondern, wie angedeutet, blitzartige Erfahrungen und Einsichten. Judith Kellers besondere Gabe beruht in ihrer Offenheit gegenüber dem Unerwarteten; in ihrer Bereitschaft, dem, was sie gleichsam überfällt, nicht auszuweichen, die praktischen Schlüsse rasch zu ziehen und diese mit unerschütterlichem Vertrauen und heller Zuversicht wirksam zu machen. Sie selber nennt diesen Weg «Abenteuer des Vertrauens». Auch wer nicht Gottvertrauen denken mag, weiss, wovon die Rede ist. Man kann sie darum nur beneiden. Sprach ich, wohl zu kurz, davon, dass nicht Pläne die hauptsächlichen Lebensetappen für Judith Keller erschlossen, sondern blitzartige Einsichten, so übernahm ich zwar ein von ihr selber gebrauchtes Bild; einem möglichen Missverständnis möchte ich indes zuvorkommen. Blitzartige Erleuchtungen, sollen sie verstanden werden, setzen ein Vorverständnis, eine Grundhaltung voraus, einen Rahmen, innerhalb dessen das neue Licht seine Kraft erst nachhaltig entfaltet. Fehlte der begrenzende Rahmen, verlöre sich das Licht im Nicht-Begrenzten. Wenn nun Judith Keller das Konzept erläutert, welchem Gründung, Aufbau und Entwicklung des KIRAN-Werkes folgen, dann sind die wesentlichen Elemente für sie doch schon lange vor dem KIRAN-Projekt existenzbestimmend gewesen. Ich will sie kurz benennen, auch wenn ich damit wieder etwas vorwegnehme, worauf sie selber zu sprechen kommen wird. Doch ist die Sache wichtig genug, so dass sich die Wiederholung vertreten lässt. Dies also gehört zum Rahmen: Ein grosses Werk blüht dann, wenn es durch eine Gemeinschaft getragen und verwirklicht wird. — So weit wie möglich werden im Werk selber die für dessen gedeihliches Fortkommen erforderlichen Kompetenzen geschaffen. — Auf Kooperation und Begeisterung ruht dieses Werk; flache Hierarchien sind also angezeigt, ohne aber geteilte Verantwortung und vertikale funktionale Hierarchien auszuschliessen. — Zuwendung, Hilfe und Betreuung, auch Nachsorge sind nicht Gnadengeschenke, sondern (Liebes-)Pflicht und deren Erfüllung. —Behinderung und Krankheit, Hilflosigkeit und Armut sind die primären Motive für diese Zu-wendung, zum Beispiel für die Aufnahme ins KIRAN-Kinderdorf. Religiöse Zugehörigkeit spielt keine Rolle. Ökumenische Praxis ist Teil der im KIRAN-Werk selbstverständlich geförderten und gelebten Toleranz. — Aus Unterschieden in Sprache und sozialer Herkunft resultiert keinerlei Diskriminierung. Sie sind vielmehr Anlass zur Einübung in Verständigung und Quellen des kulturellen Reichtums der Gemeinschaft. - Die Pflege der Gemeinschaft ist ein hoher Wert. Im Prinzip bildet Behinderung keinen Grund, nicht auch selber für die KIRAN-Gemeinschaft tätig zu werden. — Die Zuwendung zum Schwächeren zielt auf dessen Befähigung zur vollen Integration in die Gesellschaft, im Falle von KIRAN in- und ausserhalb des Dorfes.
Mit einem besonderen Punkt möchte ich diese nicht vollständige Liste schliessen; er ist für Judith Keller selber wie überhaupt für das KIRAN-Werk im indischen Umfeld von erheblichem Gewicht: «Wer keine Bestechung annimmt, für den Schwachen Fürsprache einlegt, der gefällt Schamasch wohl.» So lesen wir schon im babylonischen Hymnus an Schamasch, Sonnengott, Gott der Wahrheit, des Rechts und Freund aller Guten.' Streng wird diese Weisung im KIRAN-Werk befolgt, auch wenn sie zum Verlust von erheblichen Angeboten führt oder auch zur dilatorischen Behandlung von Gesuchen durch staatliche Instanzen. Korruption, und sei sie auch anderswo alltäglich, findet keinen Raum, wo Judith Keller die Zügel in der Hand hält.

Zum Selbstverständnis im KIRAN-Werk

Ein wichtiger Aspekt des KIRAN-Werkes als einer NGO (Non-governmental Organization) ist das Selbstverständnis, das hier in der Leitung wie bei den Mitarbeitenden aller Stufen herrscht. Es basiert auf jahrzehntelanger Erfahrung, auf einem für den Erfolg kritischen Gut: Es ist die tiefe Achtung vor und Einübung in die sozialen und kulturellen Bedingungen, innerhalb derer die eigene Organisation wirkt. Woran es anderen, kurzfristig und gut gemeint ins Leben gerufenen Institutionen fehlt — ein Mangel, der eher früher als später zum Scheitern führt oder in unseriösem Agieren endet —, gehört zu den Grundsteinen des KIRAN-Werkes, als da sind: Kompetenz in der einheimischen Sprache, jahrelange Bekanntschaft, dann Vertrautheit mit der kulturellen Umwelt, auch mit deren negativen, ja abstossenden Seiten. Judith Keller spricht in diesem Zusammenhang von einer ersten und höchsten Pflicht, welcher NGOs, die sich der Hilfeleistung in einem fremden Land verschreiben wollen, zu genügen haben. Für sich selber kann sie in Anspruch nehmen — bevor sie das KIRAN-Werk gründete, hatte sie gegen zwanzig Jahre mit den Armen, den Leprakranken in Benares zusammengelebt —, die in ihrer Wahlheimat lebendige Kultur mir ihrem Brauchtum, mit ihren Schwächen und Stärken kennen gelernt zu haben, auch von einheimischen Freunden gestützt zu sein. Auf diesem — eben langen — Wege, dessen ist sie gewiss, hat sie trotz ihrer «Nationalität und der weissen Haut» eine modellhafte NGO zur Blüte und zu Früchten gebracht — eine NGO, die, wie sie schreibt, die Einheimischen, ob Angestellte oder Mitglieder des indischen Trägervereins, stolz als «unser KIRAN» ansprechen. Es ist, einmal mehr, die mit Judith Keller praktisch gewordene Überzeugung vom hohen Wert einer Gemeinschaft, in der ständig und nach Kräften an den tragenden Beziehungen gearbeitet wird, welche dieses bewundernswerte Ergebnis fort und fort zeitigt.

Notizen zum KIRAN-Werk selber

Zum KIRAN-Werk wird Judith Keller ausführlich sprechen. Ich will mich auf das beschränken, was sich mir, dem Aussenstehenden, als Markenzeichen von KIRAN eingeprägt hat. Es ist die umsichtige und schrittweise, zugleich systematische Entwicklung einer heute vielfältigen und gut koordinierten Institution, dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe verpflichtet.
Behinderten Kindern von der Strasse zu helfen ist, wir haben es gehört, Motiv und Ziel. Geschehen soll dies auf einem Weg, der die Kinder nicht aus ihrem sozialen Umfeld entfernt. Dieses soll vielmehr in den Prozess von Pflege, Unterstützung, Ermutigung und Entwicklung aktiv einbezogen werden. Community Based Rehabilitation (CBR) ist die Methode der Wahl. Die Kinder werden von KIRAN in der Regel nicht übernommen, sondern morgens in ihrer Familie abgeholt und abends dahin zurück gefahren. Unerlässlich ist enger Kontakt zu den Eltern, welcher indirekt in deren eigene Entwicklung, auch in ethischer Hinsicht, mündet. Die differenzierte Grundhaltung der Gründerin des Werkes wird geklärt, vermittelt, eingeübt, bei den Eltern, den Mitarbeitenden, den Kindern. Dazu zählen Offenheit, Solidarität, gegenseitige Hilfe, Selbsthilfe, Sinn und Praxis der Verantwortung, kooperativer Führungsstil, aber auch Lebensfreude, sich durch Lernen fortwährend entfaltende und festigende Bildung wie Ausbildung. Die so herangewachsene «KIRAN-Anschauung» bereitet den Boden für gemeinsame Ziele, für individuelles so gut wie für gemeinsames Handeln und für gemeinsame Erfolge. Das Streben nach sozialer Integration, gerade auch ausserhalb der Grenzen des KIRAN-Dorfes, erfordert ein offenes Schulsystem: Behinderte und gesunde Kinder leben zusammen; der Vermittlung professioneller Kompetenzen gilt hohe Aufmerksamkeit, denn Professionalität und Qualität sind Ziele erster Ordnung; entsprechende Ausbildungseinrichtungen werden geschaffen; die hierdurch gewonnenen neuen Kompetenzen erlauben, neue Ausbildungsgänge einzurichten, die auch Aussenstehenden zugänglich sind und für welche die staatliche Anerkennung heute vor der Türe steht.
Mit drei herausragenden Eigenheiten des KIRAN-Werkes will ich meinen Bericht schliessen. Da sind zuerst die freundlichen und klugen Einrichtungen für jene Kinder, die aus zwingenden Gründen im KIRAN-Dorf selber verbleiben müssen; dann der systematische Einbezug der Kinder in die Bewältigung der im Dorf und seiner Umgebung anfallenden Arbeiten. Schliesslich verdient der sogenannte Aussendienst Erwähnung. Über ihn werden die wertvollen Errungenschaften des Dorfes regelmässig durch eigene Teams weit in die Umgebung der heiligen Stadt hinausgetragen, in deren Aussenquartiere, in weitere Distrikte, insgesamt in gut sechzig Dörfer: Hausbesuche und Veranstaltungen für Eltern mit behinderten Kindern zählen dazu, Erleichterung der Selbsthilfe, medizinische Behandlung und Beschaffung von Hilfsmitteln. Auch hier bleibt die Methode der Community Based Rehabilita-tion CBR wegleitend.

Das KIRAN-Werk, die Arbeit einer wachsenden Gemeinde in der Schweiz und in Indien

Was Judith Keller vor gut 15 Jahren ins Leben rief, vermochte von Beginn weg nur dank der vielseitigen Unterstützung, der tatkräftigen Mitarbeit vieler zu wachsen und Bestand zu gewinnen. Das wird auch in Zukunft nicht anders sein, sofern es denn eine Zukunft geben kann und soll. An dieser aber wird im KIRAN-Werk energisch gearbeitet. Wohl war und ist es Judith Kellers Vision, sind es ihr Gottvertrauen, ihr Unternehmergeist und das zugehörige Wissen und Können, sind es auch ihre Lust am Leiten und Führen, ihr Durchhaltewille, ihre Begeisterungsfähigkeit und zu-weilen auch ihr harter Kopf, durch die sie — zuerst ihre Lieben aus dem Kreise der Familie und der Freunde — jene vielen zu gewinnen verstand, in der Schweiz wie in Indien, die eine besondere Sonne über Benares zum Strahlen bringen. Doch wenn wir jetzt noch einmal fragen, erstaunt ob dieser Sonne Kraft, wer denn Judith Keller sei, würden wir die angemessene Antwort verfehlen, übersähen wir, dass das KIRAN-Werk dank der fortgesetzten Anstrengungen einer verschworenen, so jedenfalls mein Eindruck, Gemeinschaft besteht. Dank eines weiten Netzwerkes, an dem zwar immer wieder und gerade auch durch Judith Keller geflickt und gearbeitet werden muss, das jedoch an Dichtheit laufend zu gewinnen scheint. Dieses Netz genauer zu schildern, übersteigt meine Aufgabe. Zwei Beispiele müssen genügen. — In Indien bildet einen zentralen Knoten in diesem Netz das Komitee der KIRAN Society, der Eigentümerin von Grund und Boden des Werkes, auf dessen unverbrüchlichen Rückhalt Judith Keller zählen darf. Dem langjährigen früheren und auch schon dem derzeitigen neuen Präsidenten, der erste Gynäkologe, der zweite Chirurg, fallen besondere Verdienste zu. — Für das zweite Beispiel bleiben wir hierzulande und nutzen einen Passus aus der Feder des heutigen Präsidenten des KIRAN Freundeskreises. Im ersten Rundbrief des laufenden Jahres lesen wir, dass gut die Hälfte des KIRAN-Budgets aus der Schweiz gedeckt wird. «Die indische Entwicklungs- und Bildungspolitik verlässt sich gerne auf unzählige in- und ausländische NGOs. ... Wir jedenfalls setzen uns für das Wachsen von Menschlichkeit, Bildung, Solidarität, Gesundheit, Vollwertigkeit und Inklusion (volle gesellschaftliche Integration) unserer indischen Freunde weiterhin gerne ein, ohne ständig zu fragen, weshalb sich Indien so schwer tut, seine sozialen Probleme selber zu lösen.
Mit KIRAN Indien haben wir eine <Vereinbarung> getroffen, wonach wir in den nächsten drei Jahren je Fr.120000.— an die laufenden Kosten und bis Fr. 50000.— an dokumentierte Projekte beisteuern werden. Im Hinblick auf grössere Selbstverantwortlichkeit wollen wir auch einen regelmässigen Beitrag an die Kapitalbildung der KIRAN Society leisten.
Im Gegenzug erwarten wir von unseren Partnern eine transparente Jahresrechnung, gut begründete Projektanträge, klare Finanz- und Entscheidungsstrukturen, langfristige Planung und zuverlässige Kontrolle der Geldbewegungen.»6 Dieses Schweizer Beispiel mag Ihnen, über die unmittelbare Information hinaus, als Beleg dafür dienen, dass im KIRAN-Werk auch mit finanziellen Mitteln sorgfältig umgegangen wird.

Coda

Judith Keller ist Ausgangspunkt, Drehpunkt und scheinbar unerschöpfliche Energiequelle des KI-RAN-Werkes, wie es heute lebt: mit der in Indien selber aufgebauten rechtlichen und administrativen Struktur, die sie nicht zur Präsidentin, wohl aber zur Executive Director hat werden lassen; mit den Mitarbeitenden, rund hundert an der Zahl, die sie findet, aus- und weiterbildet und führt; mit der KIRAN Society, die das Werk vor Ort stützt und rechtlich trägt; mit der KIRAN Friends Association in Indien, der eine starke Entwicklung zu wünschen ist; mit dem Schweizer Freundeskreis, der zu einem tüchtigen und selbstbewussten Instrument herangewachsen ist; mit der KIRAN Stiftung Schweiz schliesslich, die bereit ist, Bestand und weitere Entfaltung des KIRAN-Werkes zu sichern, auch über die Zeit von dessen gegenwärtiger Seele hinaus. Doch ohne diese Seele mit ihrer Zuversicht, Ihrer Hingabe und ihrer Lebenskraft: ohne Judith Keller existierte das alles nicht; nicht jenes grosse Strahlen um die heilige Stadt am heiligen Fluss, das Menschlichkeit leben und erleben lässt; das Bedürftigen und Verachteten, Behinderten und Kranken das Gefühl der Vollwertigkeit, die Erfahrung von Selbstachtung, von Hoffnung und Lebenssinn vermittelt, ohne die leiseste Diskriminierung, für alle, die das Werk überhaupt zu fassen vermag. Das anerkennt die Brandenberger- Stiftung mit Begeisterung. Darum sind wir alle da: um Ihnen, liebe Judith Keller, für Ihr Zeugnis der Menschlichkeit in unserer oft grauen, ja dunkeln Mitwelt zu danken; um Ihnen persönlich tiefes Glück und all Ihrem Wirken unentwegtes Gelingen zu wünschen.


«Ein Abenteuer des Vertrauens»

Judith Keller (in Indien Sangeeta)

Sehr geehrte Damen und Herren, Mitglieder der Brandenberger Stiftung und des Preiskomitees, liebe bisherige Preisträgerinnen und Preisträger, liebe Freunde und Bekannte der «KIRAN-Family». Welch grosse Freude, dass heute diese zwei Stiftungen, Brandenberger und KIRAN, gemeinsam Gelegenheit haben zum Feiern! Ich möchte gleich am Anfang meine Überraschung und vor allem meinen ganz herzlichen Dank aussprechen all jenen. die bewusst oder unbewusst zum heutigen Anlass beigetragen haben: Dem Brandenberger—Team, das den KIRAN-Strahl gefunden und ausgewählt hat, für diese grosse Ehrung, und auch dem KIRAN-Team, ohne dessen riesige Mithilfe und Unterstützung die KIRAN—Arbeit in Indien nie zustande gekommen wäre.
Ich liebe es, KIRAN ein «Abenteuer des Vertrauens» zu nennen. Ein Abenteuer ist etwas, das meist unvorhergesehene Freuden und Schwierigkeiten mit einbezieht, und es weckt vielleicht die Neugier. In meinen Ausführungen möchte ich versuchen, auch Sie neugierig zu machen, indem ich Fragen, die Sie interessieren dürften. gleich selber formuliere und beantworte.

Wo liegt denn der Same dieses Abenteuers?

Soweit ich mich erinnern kann, war ich noch klein, ein Zweit- oder Drittgix vielleicht, als ich über Indien sagen hörte, dass dies ein Land sei, wo die Menschen hungern müssten, weil sie die Kühe anbeten und darum kein Fleisch essen würden. Diese kindlich verstandene Tatsache weckte in mir den Wunsch, zu diesen Indern zu gehen, sobald ich gross wäre, und dort zu «helfen».
 
Gleichzeitig war mir schon damals klar, dass ich mein Leben Gott weihen wollte. Mein Entschluss stand fest, daran gab es nichts mehr zu rütteln. Und als es mit fünfzehn Jahren um die Berufswahl ging, wollte ich Krankenschwester werden, dann bei den Kleinen Schwestern Jesu von Charles de Foucauld eintreten und so bald wie möglich nach Indien reisen.

Wann und wie vollzog sich dann dieser Schritt in ein so ganz anderes Land?

Am 9. April 1972 ging mein Traum endlich in Erfüllung. Als frisch gebackene Ordensschwester bestieg ich das Flugzeug, welches mich nach Bombay brachte. Von dort ging es bald weiter nach Benares, und zwei Monate später nach Südindien, wo ich in Kerala während zwei Jahren in einem Lepraspital arbeitete. Es war wie eine Schule und eine Entdeckungsreise. Doch da ich ohne festgefahrene Vorstellungen nach Indien ausgereist war, kam mir einfach alles vor wie die wunderbare Erfüllung meines Traumes, nämlich das Leben dieses Volkes zu teilen. Alles war für mich ok: das extreme Klima, die schwierige Sprache, die so ganz andere Mentalität der Menschen. Nur etwas fiel mir immer wieder sehr schwer, nämlich dass Ich die Illusion aufgeben musste, das Leben der Armen wirklich ganz teilen zu können. Denn als Schweizerin mit meiner weissen Haut und einem wohlhabenden Heimatland und als Ordensschwester mit einer Gemeinschaft als Rückhalt konnte ich nie so hilflos und arm sein wie die Nachbarn unseres Quartiers in der Altstadt von Benares.

In unserem Haus führten wir eine kleine Armenapotheke, deren Dienste uns ganz nah mit dem mühsamen Leben der Menschen dort in Verbindung brachten. Auch arbeitete ich teilweise für die Leprapatienten in der Stadt, alles Menschen, die wegen dem Stigma dieser furchtbaren Krankheit als Bettler in miserablen Hütten in der Nähe der vielen Tempel der «heiligen Stadt» Benares leben. Erst nach fünf Jahren, als ich zum ersten Mal in die Schweiz zurückkehrte für das zwölfmonatige Studium, erlebte ich so etwas wie einen Kulturschock. Ich musste im Nachhinein erkennen, dass ich nie Inderin werden kann, aber auch dass ich meine Wurzeln in der Heimat Schweiz ein wenig verloren hatte. Und so kehrte ich mit etwas weniger Illusionen, jedoch nicht weniger freudig und entschlossen, im Jahr 1978 wieder in meine Wahlheimat Indien, nach Benares, zurück.

Hat der Hinduismus mein Leben beeinflusst?

Ich bin überzeugt davon, dass ich sehr viel vom indischen Volk und seiner Religion empfangen habe, auch wenn ich nicht klar sagen kann, wie das geschah. Ein Ereignis hat mich besonders geprägt: Eine Pilgerfahrt an die Quelle des Ganges, die ich zusammen mit einer Freundin und einem Hindu-Mönch machen durfte. Meine Erwartungen beschränkten sich darauf, das Heimweh nach den Bergen zu stillen. Die zweiwöchige Pilgerwanderung im Himalajagebirge wurde jedoch zu einem tief spirituellen Erlebnis. Irgendwie wandte ich mich von diesem Zeitpunkt an immer mehr nach innen. Ich suchte eine intensivere Verbundenheit mit Gott und glaubte, diese in vermehrter Stille und Einsamkeit finden zu können. Ein paar Jahre rastlosen Suchens vergingen, bis ich 1989 in der südindischen Stadt Bangalore eine behinderte Frau namens Hema traf, die mir von ihrer Arbeit für behinderte Kinder erzählte. Die Frage, die spontan in mir aufstieg, traf mich wie ein Blitz: Ist es meine Aufgabe, in Benares einen solchen Dienst für behinderte Kinder aufzubauen?

Nachdem ich mich von der Notwendigkeit eines solchen Einsatzes überzeugt hatte, suchte ich Menschen, die bereit waren, mit mir zusammen den Anfang zu machen. Eines stand fest für mich: Es sollte ein gemeinsames Werk werden von Menschen verschiedener Sprachen, Religionen, Lebensbereiche und sozialer Schichten. Selbstverständlich sollten auch behinderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazugehören. Die Schirmherrschaft der institutionellen Kirche war nicht vorgesehen und auch nicht erwünscht. So begannen wir zu viert, ganz klein in einem alten Haus. das uns der Bischof zur Verfügung stellte. Aber was war da geschehen mit meinem Wunsch nach Stille und Einsamkeit? Ja, etwas in mir wehrte sich anfänglich sehr gegen die Idee, jetzt so etwas wie eine Sozialarbeiterin zu werden ... Nein, das wollte ich nicht! Ich suchte doch die Kontemplation. Aber langsam, langsam merkte Ich, wie mich das Leben auf unerwartetem Weg zu eben dieser Intensität und Kontemplation führte, spürte, dass ich den Gott, den ich in der Stille zu finden glaubte, jetzt irgendwie viel intensiver in diesen kleinen behinderten Kin¬dern entdecken lernte. — Bald musste ich mich aber auch entscheiden, die Gemeinschaft der Kleinen Schwestern, die während fast zwanzig Jahren meine Familie gewesen war, zu verlassen, um mich ungeteilt den behinderten Menschen widmen zu können.

War dies eine grosse Umstellung?

Ja, anfangs war es schon etwas chaotisch! Bis mir dann eine Freundin lachend vorwarf, ich solle doch endlich aufhören, jetzt als Chefin noch immer die Kleine Schwester zu spielen! Manchmal war ich fast wütend darüber, dass mich all diese Jahre in der Fraternität nicht auf ein solches Leben als Leiterin einer schnell grösser werdenden NGO vorbereitet hatten. Doch heute weiss ich, und es freut mich sehr, dass ich gerade jene Eigenschaften, die wie kostbare Perlen sind im KIRAN, durch das Leben als Kleine Schwester in der Fraternität erhalten hatte. Dies sind:

—    Die besondere Liebe und der Respekt den Kleinsten und Schwächsten gegenüber.

—    Die Wichtigkeit, die wir der Gemeinschaft und dem Bemühen um gute Beziehungen zumessen.

—    Unsere Vorliebe für interreligiöses und interkulturelles Arbeiten und Leben.

Und wie sieht heute dieser Dienst im KIRAN-Dörfli konkret aus?

—    Am besten begleiten wir den damaligen Aufbau des KIRAN-Village und die heutigen Aktivitäten Im Alltag:

—    Morgenversammlung: Alle miteinander beginnen wir jeden Tag mit Singen, Musik, Stille und einem Wort aus den heiligen Büchern der verschiedenen Traditionen Indiens.

—    PCCU: Dies ist die Abteilung, wo neue Kinder mit ihren Eltern zur Beratung kommen (Parents & Child Care Unit).

—    Primarschule: Vom Kindergarten bis zur 5. Klasse für jene Kinder, die einem normalen Kurrikulum folgen können.

—    NIOS: Ein Programm für jene Schülerinnen und Schüler, die wegen ihrer zu starken Behinderung nicht in eine gewöhnliche Schule ausserhalb KIRAN gehen können.

—    Heilpädagogik: Für die Kinder, die in ganz kleinen Gruppen speziell ihnen angepasste Lernmethoden brauchen.

—    Physiotherapie: Für alle Kinder, die therapeutisch unterstützt werden müssen, geschieht dies während den Schulstunden
—    Hippotherapie, Schwimmbassin, Trampolin: Dies sind willkommene Mittel, die unsere spielerische Therapie unterstützen.

—    Ortho-Werkstatt: Hier werden die Orthopädischen Hilfsmittel fachgerecht auf moderne Art hergestellt.

—    Vocational-Training: Den heranwachsenden Jugendlichen auch eine Job-Perspektive zu geben, ist unser grosses Anliegen. Zur Zeit bieten wir Zweijahreskurse an in der Bäckerei, Holzspielsachen-Schreinerei, Gärtnerei, Näherei, Druckerei und in der Bastelwerkstatt.

—    —Hostel:• Siebzig Kindern aus weit entfernten Dörfern, die sonst keine Möglichkeit zu Schul-unterricht oder Vocational-Training hätten, bieten wir unsere Hostels an.

—    Community-Based-Rehabilitation: Ein Team Ist regelmässig in vierzig Dörfern tätig, wo es zusammen mit der Bevölkerung versucht, für die behinderten Menschen Rehabilitation und Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen.

—    Outreach-Service: Ein anderes Team von Therapeuten geht regelmassig in die Dörfer von Uttar Pradesh, bis zu 200 Kilometer entfernt, um zusammen mit den dort aktiven Organisationen Strategien für die Rehabilitation der behinderten Kinder zu erarbeiten.

—    Kurse für Dorf-Animatoren und Eltern: Da cerebral geschädigte Kinder wohl wegen stark mangelnder Gesundheitskontrolle sehr zahlreich sind, sehen wir unsere Aufgabe auch darin, dem in den Dörfern arbeitenden Hilfspersonal und den Eltern dieser Kinder Ausbildungskurse Im Bereich der Vorbeugung und Behandlung von Cerebralstörungen anzubieten.

—    KIRAN-Angestellten-Team: Über neunzig Angestellte aus verschiedenen Sprachregionen und Religionen, Fachleute und Angelernte, Neuangekommene und solche mit langer Erfahrung, arbeiten gemeinsam für das Wohl von 220 Kindern im KIRAN-Centre und von gut 1000 Kindern in den Aussendiensten. KIRAN bemüht sich, Ihnen einen gerechten Lohn, Möglichkeiten zur Weiterbildung und auch eine Altersfürsorge zu bieten. Dafür verlangen wir aber Qualitätsarbeit! Kopf, Hände und Herz ganz in den Dienst dieser Kinder zu stellen, das ist immer wieder mein Aufruf an sie.

Vielleicht möchten Sie mir die Frage stellen, wie ich die Zukunft des KIRAN sehe?

Eine Mutter hat wohl immer grosse Träume für ihr Kind ... Wie ich anfangs schon erwähnte, ist und bleibt KIRAN für mich ein Abenteuer des Vertrauens! Ich vertraue darauf, dass es auch weiterhin in guten Händen sein wird, um noch unzähligen Kindern und Jugendlichen, die an den Folgen irgendeiner Behinderung leiden, zu einem kreativen und menschenwürdigen Leben zu verhelfen. Doch die Bedürfnisse sind gerade im Staat Uttar Pradesh unvorstellbar gross. Weil das KIRAN-Center allein all diesen behinderten Menschen nicht helfen kann, sind wir jetzt daran, eine Training-Unit aufzubauen und planen, dass wir ab 2009 vom Staat anerkannte Kurse anbieten werden, in denen junge Menschen den Beruf des Heilpädagogen oder Therapeuten für CP-Kinder erlernen können. Somit wird das KIRAN weiterhin «ausstrahlen» können, ohne selbst übergross zu werden. Bereits jetzt haben wir ein gutes Leiterteam mit fähigen Leuten, denen ich vertrauen kann und die schon seit vielen Jahren mit mir zusammenarbeiten.

Und wie steht es mit den Finanzen?
Dieses Thema wird wohl immer ein Puzzle bleiben, denn ein Dienst, der sich zum Ziel gesetzt hat, jene Kinder zu unterstützen, die von zu Hause nichts erhalten können, wird nie selbsttragend sein. Wir müssen bedenken, dass Indien, obwohl reich an materiellen Gütern, sehr wenig tut für das Wohl seiner 250 Millionen Bürger, die unter der offiziellen Armutsgrenze leben. Auf dem Papier werden zentral wohl gute Programme festgelegt, doch das grosse Übel ist die Korruption, welche besonders in den nördlichen Staaten Uttar Pradesh und Bihar grassiert.
Mit der Arbeit für die Behinderten ist KIRAN aktiv daran beteiligt, dieser enormen Ungleichheit und Ungerechtigkeit entgegen zu wirken. Zur Zeit benötigen wir für den Betrieb des KIRAN Kinderdorfes ca. CHF 500000 pro Jahr. Wir erhalten etwa 5% dieser benötigten Gelder aus Indien selbst, 36,5% von internationalen Partnern und 58,5% aus der Schweiz. Die gleiche Leistung, nämlich diese 58,5%, würde in der Schweiz ca. 8 Millionen Franken entsprechen. Aus dem technischen und wirtschaftlichen Aufschwung, besonders In den Grossstädten Indiens, wird In den nächsten Jahren eine massive Teuerung resultieren und vor allem die armen Regionen, aber auch das KIRAN Kinderdorf massiv belasten.

Und wie soll mein Schlusswort lauten? Hilde Domin drückt meine Gedanken kurz, schön und treffend aus:

«Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten.»

Nicht müde werden!